3 – Karma

Ein Menschenleben ist voller Ungerechtigkeiten: Unterschiede in den materiellen Voraussetzungen, in den Möglichkeiten und Fähigkeiten und ebenso natürliche oder von Menschen gemachte Katastrophen bringen für hunderte Menschen Leiden ohne irgendeine erkennbare Ursache auf der Seite der Opfer. Gibt es in einer solchen Welt Gerechtigkeit? Können die hinter diesen Ereignissen stehenden Ursachen gefunden werden?

Gewiss leben wir nicht in einem willkürlichen Universum. Physische Ursache und Wirkung bilden die Grundlage sowohl der wissenschaftlichen Erkenntnis als auch der tagtäglichen Entscheidungen. Aber oft verfehlen wir zu erkennen, dass die physische Welt nur die Wirkung oder die äußerste Hülle eines Kosmos ist, der beinahe gänzlich aus Bewusstseins- und Substanzstufen zusammengesetzt ist, die von unseren Sinnen nicht leicht wahrgenommen werden können. Er besteht aus den Körpern von lebenden Organismen, die ein grenzenloses Netz von miteinander verbundenen Leben bilden, die miteinander agieren und aufeinander reagieren.

Diese universale Aktion und Reaktion oder Ursache und Wirkung wird Karma genannt, ein Sanskritwort mit der Bedeutung „Tätigkeit“. Obwohl einige religiöse Überlieferungen es als den persönlichen Willen eines göttlichen Wesens darstellen, ist Karma allgemein gültig und unpersönlich, eine der Natur innenwohnende Eigenschaft. Jede Handlung, jeder Gedanken oder jedes Gefühl ist eine Energie, die sich auf das Universum auswirkt. Das Universum reagiert selbstverständlich, und früher oder später fällt die Kraft wieder auf ihre Quelle zurück. Aktivitäten, die mit den natürlichen Mustern in Harmonie sind, erhalten und stärken jene Harmonie, was dann auf den Erzeuger wieder reflektiert wird; Aktivitäten, die mit den Naturmustern in Konflikt stehen, schaffen Disharmonie, die auch auf den Initiator zurückgeworfen wird. Wenn wir das als Strafe oder Belohnung bezeichnen, projizieren wir damit nur unsere eigenen Gefühle auf den natürlichen Prozess, durch welchen das Gleichgewicht wieder hergestellt wird, nachdem Individuen durch die Anwendung ihres Willens Ursachen erzeugten.

Da wir den direkten Grund unseres Charakters, der Umstände, Beziehungen, der Freuden und Leiden, nicht erkennen, sind wir geneigt, diese als Zufall, Glück, Schicksal oder als den Willen Gottes zu erklären. Die Ungleichheiten im menschlichen Leben sind jedoch von den betroffenen Menschen verursacht – als Einzelperson oder Gruppe. Das geschieht unbemerkt, besonders wenn wir uns als bei der Geburt gänzlich neu geschaffen betrachten, anstatt als Ausdruck eines spirituellen Bewusstseinszentrums mit einer vorherigen Geschichte, die so alt ist wie das Universum selbst.

Wesen, die das menschliche Stadium erreicht haben, haben auf der Erde bereits viele Leben als Menschen verbracht. Sie haben aus sich selbst heraus und als Reaktion auf die Umstände besondere Eigenschaften entwickelt und haben gewisse Fähigkeiten und Mängel verstärkt. Ferner hat jedes Individuum im Kontakt mit anderen Ursachen in Bewegung gesetzt, die ihn zu bestimmten Menschengruppen hinziehen, um die Wirkungen zu erfahren. Jeder Mensch wird mit vielen Neigungen und Beziehungen geboren, die in einer neuen Reihe von Umständen auf eine Gelegenheit warten, sich zum Ausdruck zu bringen und modifiziert zu werden. Wenn wir die vielen Ursachen betrachten, die wir in nur einer Lebenszeit in Bewegung gesetzt haben, brauchen wir uns nicht über die Vielfalt der Umstände auf der Welt zu wundern.

Warum erinnern wir uns nicht an die Ursachen?

Der Grund, warum wir uns vieler von uns in Bewegung gesetzter Ursachen nicht bewusst sind, liegt in unserer komplex zusammengesetzten Struktur. Während des Lebens identifizieren wir uns beinahe gänzlich mit unserer Persönlichkeit und unserem Körper, aber diese Persönlichkeit oder dieses alltägliche psychologische Selbst überlebt den Tod genauso wenig unversehrt wie der Körper. Wenn sich die spirituellen Aspekte aus unserem psychologischen „Körper“ zurückziehen, zerstreuen sich die ihn zusammenhaltenden Kräfte und er zerfällt in psychologische „Atome“, die genauso durch die Natur zirkulieren wie die physischen Atome unseres Körpers nach dem Tod. Wenn die Zeit der Wiedergeburt kommt, sammelt sich das meiste dieser mental-emotionalen Substanz erneut, um die neue Persönlichkeit zu bilden, und die neu zusammengesetzten Elemente haben keine Erinnerung an die Persönlichkeit, bei deren Aufbau sie vorher mitgeholfen haben. Weil diese Atome nichtsdestoweniger eine Prägung der Qualitäten und Neigungen in sich tragen, die ihnen in der letzten Verkörperung eingeprägt wurden, ist die „neue“ Persönlichkeit die direkte Folge und die reihenmäßige Fortsetzung der vorherigen. Wir werden von diesem Karma, das wir nicht gänzlich verstehen oder an das wir uns nicht ganz erinnern, berührt, weil es buchstäblich ein Teil von uns ist, von uns gestaltet wurde.

Dennoch sind wir mehr als psycho-mentale Wesen. Unsere spirituellen Aspekte sind beständig und bewahren die Aufzeichnungen unserer Vergangenheit. Würden wir unser Bewusstsein auf diese Ebenen konzentrieren, könnten wir unsere vergangenen Leben kennen – obwohl das eine sehr ernüchternde Erfahrung sein könnte. Wenn unser tägliches Bewusstsein universaler wird, wächst es allmählich hin zu seiner spirituellen Abstammung – bis die Zeit kommt, wenn wir den Tod und die Wiederverkörperung bewusst durchlaufen und fähig sind, die Ursachen zu verstehen, die unser Leben formen.

Ist Karma Fatalismus?

Wenn alles eine Ursache hat und nichts zufällig geschieht, folgern manche Menschen, dass wir von der Vergangenheit in einem vorherbestimmten und unentrinnbaren Schicksal gefangen sind. Eine solche Anschauung übersieht die Idee, dass wir Wesen sind, die nicht nur aus Materie oder Denken bestehen, sondern in unserem Innern grundlegend mit der kosmischen Göttlichkeit identisch sind. Jedes Wesen in der Natur hat einen freien Willen, obwohl seine Freiheit durch sein Evolutionsniveau und seine Beziehungen mit anderen Wesenheiten begrenzt ist. Diese Begrenzungen bedeuten jedoch nicht, dass wir unseren freien Willen nicht zum Ausdruck bringen können.

Unsere Gewohnheiten des Denkens, Fühlens und Handelns sind machtvolle Kräfte, und es ist einfach, auf dem Weg des geringsten Widerstandes dahinzugleiten. Aber wenn unser Verlangen und unsere Hingabe stark genug sind, können wir uns verändern. Obwohl wir unausweichlich mit den Folgen unserer Handlungen umgehen müssen, müssen wir nicht davon kontrolliert werden. Aus unseren Reaktionen, Motiven und Haltungen entstehen ständig neue karmische Wirkungen, so dass wir in jedem Moment eine neue selbst erschaffene Wesenheit darstellen. Die Persönlichkeit, welche die Auswirkungen vergangenen Karmas empfängt, kann sehr verschieden sein von derjenigen, welche das Karma ursprünglich erschuf – genauso wie sich der reife Mensch gewöhnlich von dem unterscheidet, der er als Jugendlicher war, obwohl er das gleiche Individuum ist und mit den Folgen seiner Entscheidungen als Jugendlicher umgehen muss. Seine gegenwärtige Perspektive kann es ihm sogar möglich machen, den unglücklichen Wirkungen aus seiner Vergangenheit kreativ zu begegnen und etwas potenziell Negatives in eine Gelegenheit zum Lernen und Wachsen zu verwandeln.

Indem wir Ursachen mit einer harmonischeren Qualität erschaffen, können wir viele der früher von uns geschaffenen unharmonischen Wirkungen lindern und vielleicht positive Aspekte finden, während wir Samen einer neuen Art für die Zukunft pflanzen. Somit erlaubt uns Karma, unser Schicksal zu wählen und zu formen, es schenkt uns die Gelegenheit, unser Leben zu leiten, indem wir uns selbst beherrschen und bestimmen, wie sich die Umstände auf uns selbst auswirken.

Karma und Mitleid

Manchmal wird Karma falsch interpretiert als die Rationalisierung der Herzlosigkeit und als die Bewahrung des momentanen Stands von Leid und Ungerechtigkeit – sowohl individuell als auch sozial. Solche Argumentationen ignorieren die Tatsache, dass schwierige Situationen zu erleben nicht nur das persönliche Karma mit einschließt, sondern gleichzeitig anderen die Möglichkeit gibt, zu helfen. Wenn wir anderen gegenüber unnahbar sind, schaffen wir in uns ein Karma, das uns selbst begrenzt. Als Teile einer organischen Einheit, in der Essenz mit jedem und allem eins, ist es unsere Verantwortung, die anderen nach unseren besten Fähigkeiten zu unterstützen. Mitleid und mitmenschliches Gefühl für alle ist der wichtigste Weg zu Wachstum und die Ausdrucksform dessen, was wahrhaftige und edle Menschlichkeit ist.

Der Schlüssel, die Gegenwart zu verstehen, liegt im Erkennen, dass alles eine Ursache und eine Wirkung hat, denn das Universum und alles in ihm wurde durch vergangene Aktivitäten gestaltet. Wir alle haben uns selbst durch zahllose Leben genau zu dem gemacht, was wir gegenwärtig sind, und durch unsere gegenwärtigen Gedanken, Handlungen und Wünsche gestalten wir unser künftiges Selbst. Unsere Reaktionen auf die Menschen um uns bilden Muster von Ursachen, die in künftigen Beziehungen mit jenen Menschen ausgearbeitet werden müssen. Und genauso wie wir das große Lagerhaus unseres vergangenen Karmas sind, so ist jede Wesenheit der Natur ihr eigenes Karma. Als Menschen sind wir Teil größerer Wesenheiten – wie die Erde und das Sonnensystem –, die ebenfalls Karma erschaffen, das die Menschheit genauso beeinflusst wie unsere Handlungen die kleineren Leben berühren, die unseren Körper zusammensetzen.

Zwischen allem bestehen Wechselwirkungen und Reaktionen, denn das Universum ist eine vollständige Einheit, ein allein stehender lebender Organismus, nicht eine Ansammlung von oberflächlich verwandten Teilen, wie es manchmal den Anschein hat. Jeder Teil berührt das Ganze in jedem Augenblick und wird von ihm berührt, und diese Wechselbeziehungen lassen das Universum funktionieren wie es funktioniert. Unser Leben hat einen Einfluss auf alles in und um uns herum; was wir denken, machen und fühlen möchten, ist in seinen Wirkungen nicht auf uns oder jene begrenzt, die wir kennen. Wenn wir über unsere engen selbstzentrierten Aspekte hinausschauen und in Übereinstimmung mit den weit reichenden Interessen von Myriaden uns umgebender Wesen leben können, werden wir zu einem positiven Einfluss von planetarischer Reichweite werden und Karma schaffen, das zu einer gegenwärtigen und künftigen Segnung wird.

***

Fürchte dich nicht, denn jede erneute Anstrengung macht alle früheren Fehler zu Lektionen, alle Sünden zu Erfahrungen. Im Lichte der erneuten Anstrengung verändert sich das Karma deiner gesamten Vergangenheit; es ist nicht länger bedrohlich. Aus dem Blickwinkel der Seele betrachtet steigt es von der Ebene der Bestrafung zur Ebene der Unterweisung auf.

Yoga in Indien

Manchmal wird die Frage gestellt, ob H. P. Blavatsky 1878 nach Indien reiste, um dort Yoga zu studieren. Das war aber nicht der Fall. Nach der Gründung der Theosophischen Gesellschaft in Amerika reiste sie nach Indien, um das allgemeine Verständnis für Menschlichkeit und Bruderschaft zu fördern, das sich trotz den tausenden verschiedenen Yogis in einem jämmerlichen Zustand befand. Ein weiterer Grund war die Anweisung ihrer Meister, dass sie die großen Möglichkeiten Indiens fördern sollte, der Welt eine großartige Religions-Philosophie anzubieten, einer Welt, die logischere und befreiendere Lösungen auf die Fragen des Lebens suchte, als die von der dogmatischen Theologie oder der materialistischen Wissenschaft der damaligen Zeit angebotenen.

Sie schenkte dem Drängen vieler Hindus Gehör, die erkannten, dass die alten Lehren durch abergläubische Interpretationen und formelhafte gottesdienstliche Handlungen degeneriert waren. Viele prominente Gesellschaften einheimischer Sanskrit-Gelehrter luden sie ein, Mitglied zu werden und mehrmals ereigneten sich bemerkenswerte Phänomene.

Stolze, selbstzufriedene Brahmanen, die sich niemals um andere kümmerten, erkannten sie als ihre Lehrerin an, sie, die eine Ausländerin war, eine ‘Paria’ und … eine Frau! Bei vielen Anlässen wurde ihr in der Öffentlichkeit von ihnen und anderen indischen Organisationen gedankt, und sie empfing Ehrerweisungen für ihre aufopfernde Arbeit, dem vorwärtsstrebenden Teil Indiens zu höheren Idealen des Denkens und Handelns zu verhelfen. Eine solche Ehrung, angeboten von über dreihundert Hindustudenten einer höheren Schule in Madras, beginnt folgendermaßen:

„Nun, da wir Sie nach Ihrer Rückkehr von den intellektuellen Feldzügen, die Sie im Westen so erfolgreich vollbrachten, aufs Herzlichste willkommen heißen, erkennen wir, dass wir nur einen schwachen Ausdruck unserer großen Dankbarkeit zeigen können, die Indien Ihnen schuldet.

Sie haben Ihr Leben dem selbstlosen Dienst gewidmet, die Wahrheiten der okkulten Philosophie zu verbreiten. Auf die heiligen Mysterien unserer ergrauten Religion und Philosophie haben Sie viel Licht geworfen, indem Sie der Welt Ihr wunderbares Werk Isis entschleiert brachten.

Incidents in the Life of Madame H. P. Blavatsky, A. P. SINNETT

Zu einer bestimmten Zeit, als viele Menschen meinten, es sei für ihre spirituelle Entwicklung notwendig, für eine okkulte Ausbildung eiligst nach Indien zu reisen, protestierte W. Q. Judge dagegen und sagte, dass dies nicht der Wunsch der Meister sei. Es entspräche auch nicht den von H. P. Blavatsky gebrachten Lehren, dass Theosophen den östlichen Methoden sklavisch folgen sollten, noch sollte der heutige Orient als Beispiel oder als Ziel gesehen werden. Der Westen muss einer Methode der spirituellen Entwicklung folgen, die seinem Charakter und dem Milieu seiner Völker entspricht. Selbstverständlich kann und muss der Westen in großem Ausmaß aus den östlichen Schriften schöpfen, deren Bedeutung für die Studierenden, seit H. P. Blavatsky den Schleier der ‘Isis’ teilweise gelüftet und viele verborgene Bedeutungen erläutert hat, sehr gewachsen ist. Aber trotz allem, was sie unternahm, um das alte spirituelle Leben in Indien wiederzuerwecken, können wir zum modernen Indien doch nicht wie zu einem Lehrer aufsehen. Die indischen Meister selbst sagen deutlich, „dass alle überzeugt sind, dass der Verfall Indiens hauptsächlich auf die Erstickung des spirituellen Lebens in früheren Tagen“ zurückzuführen sei, und Mahatma KH sagt, dass „selbst seine eigenen Landsleute den erstickenden Magnetismus nur sehr kurz ertragen können (aus The Occult World, A. P. SINNETT). Ebenfalls lesen wir in den Mahatma Letters to A. P. Sinnett:

„Wenn es zulässig wäre, subjektive Dinge durch objektive Phänomene zu symbolisieren, würde ich sagen, dass Indien für das psychische Auge mit einem erstickenden grauen Nebel bedeckt zu sein scheint – einem moralischen Meteor – der odischen1 Emanation ihres verdorbenen gesellschaftlichen Zustandes. Hier und da funkelt ein Lichtpunkt auf, der auf eine Natur hinweist, die ein wenig spirituell ist, auf einen Menschen, der nach höherem Wissen strebt und darum ringt. Wenn das Leuchtfeuer des arischen Okkultismus je wieder entzündet werden soll, müssen diese verstreuten Funken zusammengebracht werden, um die Flamme zu bilden. Und das ist die Aufgabe der TG, … .“

– S. 384 (engl. Ausgabe)

Schon immer und auch heute noch gab und gibt es einen ‘esoterischen Kreis’ von Wissenden. Unerkannt und der äußeren Welt unbekannt arbeitet er auf vielerlei Arten am spirituellen Wachstum der Menschheit. Dieser Kreis wurde vor Urzeiten von Menschen mit dem Ziel gegründet, die Menschheit vor bruchstückhaften oder irreführenden Halbwahrheiten okkulten Charakters zu bewahren, die weit gefährlicher sind als völlig falsche Erkenntnisse, weil man sie nicht so leicht als Unwahrheiten erkennen kann. Die geschichtlich bekannten Mysterienschulen in Eleusis und an anderen Orten Griechenlands, in Philae in Ägypten und in noch manchen anderen Gegenden der Welt, waren die verhältnismäßig modernen Nachfolger der alten Schulen. Sie genossen hohes Ansehen, wurden von jedermann geehrt und man brachte ihnen Vertrauen entgegen. Die Handlungen und andere mehr oder weniger exoterische Zeremonien waren den Bedürfnissen der durchschnittlichen Menschen der Zeit angepasst, aber sogar darin wurde Tieferes symbolisiert. Weiter fortgeschrittene Kandidaten verbrachten lange Perioden in der Stille, wie wir den Berichten der Schule von Pythagoras zu Krotona entnehmen. Wenn ihre Körper gereinigt und sie ihr Denken unter Kontrolle hatten, waren sie bereit, in sich selbst hohe Bewusstseinszustände zu erwecken, die für den ungeübten Intellekt ganz und gar unzugänglich sind. Paulus, ein Eingeweihter, sagt, dass ein Mensch ‘bis in den dritten Himmel entrückt wurde’ (2 Kor 12,2). Dies ist ein deutlicher Hinweis auf eines der Stadien oder einen der Schritte auf dem Weg nach dem, was im Osten Samādhi genannt wird. Der Prozess, das nach außen zu bringen, was im Inneren eingeschlossen liegt, ist die wahre Bedeutung von Erziehung, und dies ist die Vorgehensweise jeder echten Yoga- oder Mysterienschule.

Mit dem Aufkommen der Theosophischen Bewegung im 19. Jahrhundert begann H. P. Blavatsky mit Erfolg die Mysterienschulen im Westen zum Leben zu erwecken. Sie schreibt:

Aber wenn auch die Stimme der MYSTERIEN im Westen schon seit vielen Zeitaltern verstummt ist, wenn Eleusis, Memphis, Antium, Delphi und Krisa schon vor langer Zeit zu Grabstätten einer Wissenschaft wurden, die einst im Westen genau so gewaltig war, wie sie jetzt noch im Orient ist, so werden doch jetzt Nachfolger für sie vorbereitet.

– H. P. Blavatsky: Collected Writings, 8:205

Als das „Ursprüngliche Feuer des Arischen Okkultismus“, wie Meister KH es bezeichnet, hell brannte, wurde Yoga in richtiger Weise verstanden. In ihrem Theosophical Glossary (S. 381-2) spricht H. P. Blavatsky von den sechs Darśanas oder philosophischen Schulen Indiens, eine von diesen ist Yoga; und weiter beschreibt sie Yoga als „die Praxis der Meditation als ein Mittel, das zu spiritueller Befreiung führt“. Sie fügt hinzu, dass dadurch psycho-spirituelle Kräfte erlangt werden können; „und die hervorgerufenen ekstatischen Zustände führen zur klaren und richtigen Wahrnehmung der ewigen Wahrheiten, sowohl im sichtbaren als auch im unsichtbaren Universum“. Bedenken Sie hierbei, dass dies weder psycho-physische noch psycho-intellektuelle Kräfte sind, sondern Fähigkeiten, die zu einer weitaus höheren Ordnung gehören.

Den Yoga Darśana oder die Schule teilt man in fünf Hauptklassen ein, die mit den fünf wichtigsten Typen der Psychologie des Menschen übereinstimmen. G. de Purucker umschreibt sie folgendermaßen:

„Welche sind nun diese fünf Yoga-Schulen Indiens? Wir fangen mit der einfachsten und niedrigsten an; Hatha-Yoga, der Yoga der physiologisch-psychischen Übung, hauptsächlich den Körper und den Verstand betreffend. Dann Karma-Yoga, von dem Wort ‘Karma’, Handlung. Drittens Bhakti-Yoga, der Yoga der Liebe und der Hingabe. Viertens Jñāna-Yoga, der Yoga der Weisheit oder des Wissens, des Studiums. Fünftens Rāja-Yoga, der Yoga des selbständigen Bemühens, um zur Vereinigung mit dem Inneren Gott zu gelangen, der Yoga der Disziplin; so wie man die Könige der Kshatriyas oder der Kriegerkaste als Führer ihres Staates betrachtete. Und der sechste, den wir Theosophen noch hinzufügen, ist der Brahma-Yoga, der Yoga des Geistes, der die fünf anderen sozusagen enthält.“

The Theosophical Forum, März 1940

Ein umfassendes Studium und die Ausübung der fünf hinduistischen Yoga-Systeme erfordert alle Energie, Aufmerksamkeit und die gesamte Zeit des Ausübenden. Es ist klar, dass das in der modernen westlichen Umgebung nicht durchführbar ist, wenn dieses Studium auch wünschenswert erscheint. Dazu kommt noch, dass die Anwesenheit eines Lehrers, der wenigstens den Stand eines niedrigeren Adepten erreicht hat, ganz und gar unentbehrlich ist; er muss seinen Schüler ständig beobachten und beschützen, wenn dieser durch bestimmte Entwicklungsstadien hindurchgeht. Man sagt, dass die Hatha-Yoga-Methoden (die in den höheren Schulen sehr selten angewendet werden und wenn, dann nur unter besonderen Umständen) für auserwählte Schüler ohne Gefahr sind, wenn sie unter der Leitung eines entsprechenden Gurus oder Führers angewendet werden. Aber im Falle eines voreiligen, unvorbereiteten und ungeschützten Laien sind die Umstände ganz anders und es besteht das Risiko sehr tragischer Folgen.

Betrachten wir zum Beispiel die Āsanas oder Yoga-Körperhaltungen, die im Westen durch Fotos und Beschreibungen mehr oder weniger bekannt sind. Es sind rein körperliche Übungen, die manche Yogis anwenden. Sie bereiten damit ihren Körper auf die gewaltigen Spannungen vor, die bei der Erweckung der starken und gefährlichen innerlichen Kräfte entstehen, die der westlichen Wissenschaft noch unbekannt sind.

Es sind mehr als siebzig Āsanas bekannt, von denen die meisten eine lange Vorbereitung erfordern, bevor man sie praktizieren kann. Manche sind für den einen Yogi geeignet, andere für einen anderen, und nur der verständnisvolle und erfahrene Guru ist imstande, sie vernünftig zu dosieren. Der Schüler kann unmöglich ihre Unterschiede kennen, und es ist eine sehr ernste Sache, an einem falschen Āsana zu arbeiten, was, wie man sagt, den Tod zur Folge haben kann!

Vor einiger Zeit veröffentlichte ein Student des Okkultismus die Ergebnisse einer langen Untersuchung der höheren Weisheit im ‘geheimen Indien’. Er stieß auf viele sogenannte Yogis,

die zum größten Teil Fanatiker oder Egoisten waren, die, so sagt er, selbst bei der jüngeren Hindugeneration in den fortschrittlichen Klassen die Bezeichnung Yogi in ein schlechtes Licht gerückt hätten. Es waren auch einige wahre Medien und Magier darunter, offensichtlich einem niederen Orden angehörend. Aber er fand auch ein paar ernsthafte, rechtschaffene Männer, die in keinerlei Weise ihre Fähigkeiten zur Schau trugen und die für die psychischen, sogenannten Yoga-Übungen keine Werbung machten, die vielmehr Lehren von lebenswichtiger Bedeutung für den spirituellen Fortschritt übermittelten. Ein Lehrer aus Südindien, über den der Schriftsteller mit Recht mit großer Ehrfurcht und Bewunderung spricht, antwortete auf die Frage, was getan werden müsse, um den Pfad zu betreten: „Es gibt nur eines, was man tun muss. Schaue in dich selbst hinein. Tue dies in der richtigen Weise und du wirst die Antwort auf all deine Fragen finden. Du musst dich fragen: Wer bin ich? Kenne dein wahres Selbst, dann wird das Licht der Wahrheit in deinem Herzen wie das Licht der Sonne hervorbrechen.“

– PAUL BRUNTON: Verborgene Weisheit

Der Suchende muss nicht nach Indien reisen, um das zu lernen. Er kann es als einen wesentlichen Bestandteil in theosophischen Werken über das Thema der spirituellen Schulung finden, z. B. in Die Stimme der Stille von H. P. Blavatsky. Der Pfad der Schülerschaft wird darin deutlich in einer Weise beschrieben, die sich für alle Völker eignet, östliche wie westliche. Aber welcher Pfad ist der richtige? Kann es richtig sein, sich von der aktiven Teilnahme am weltlichen Leben zurückzuziehen, indem man sich auf seinen eigenen persönlichen Fortschritt konzentriert, ohne sich um das Wohl der anderen zu kümmern? Ohne nähere Erläuterung könnte der eben gegebene Rat leicht falsch verstanden werden. Den richtigen Weg, Selbsterkenntnis zu erlangen, findet man in der Bhagavad-Gītā, dem maßgebenden Werk der Hindus über Yoga-Philosophie und Selbstbemeisterung. Sie betont die Notwendigkeit, in der Welt seine ganze Pflicht zu erfüllen, d. h. die Pflicht anderen und sich selbst gegenüber – das Dharma. Dieser Yoga, Karma-Yoga, ist äußerst wichtig für uns westliche Menschen, die wir lernen müssen, wie wir unsere sprudelnde Energie mit mehr Weisheit lenken können. Es ist „das Ausüben rechter Handlungen“. G. de Purucker behandelte das Thema des unpersönlichen Dienens ausführlich in Die Goldenen Regeln der Esoterik. Aus diesem Buch zitieren wir:

Das Hauptgesetz des Universums ist Selbstvergessen, nicht Konzentration der Aufmerksamkeit auf persönliche Freiheit, nicht einmal auf die Individualität. Das Grundgesetz des Universums will, dass wir für alle Dinge leben und nicht, dass jeder für sich lebe, um für sich die inneren spirituellen Kräfte zu entfalten. Die Weisung, die inneren spirituellen Kräfte zu entwickeln, ist zwar als allgemeine Forderung richtig, doch ist sie als solche auch irreführend, gefährlich, unweise und deshalb ungeeignet als Regel esoterischer Schulung, wenn sie nicht qualifiziert, richtiggestellt und ergänzt wird durch folgende Zusatzlehre: Gib dein Leben auf, so du es finden willst. Lebe für das Wohl der Menschheit, denn das ist der erste Schritt. …

– S. 104

Der Mensch, der zuerst an andere denkt, ist bereits groß. Der Mensch, der um anderer willen sein Leben hingibt, ist schon groß. Der Mensch, der sich in unpersönlichem Dienst für die Menschheit selbst vergisst, ist jedoch am größten. Ein solcher Mensch erntet ein gottgleiches Schicksal, da er sich einen entsprechenden Charakter geschaffen hat.

– S. 115

In der Theosophie finden wir eine hohe Art des Yoga, der uns von den Täuschungen befreien kann, die wir fälschlicherweise mit dem wirklichen Leben verwechseln. Ein Beginn einer solch hohen Art von Yoga hängt davon ab, ob wir die Chancen, die das tägliche Leben im Getöse der Welt uns bietet, richtig nutzen. Es ist nicht nötig, sich aus der Welt zurückzuziehen, sondern sich aus der Sklaverei der egoistischen Anforderungen, welche die Welt stellt, zu befreien. Wollen wir nicht alle ohne zu zweifeln zwischen einer weisen und einer dummen Handlungsweise unterscheiden können und ein so großes und vorurteilsfreies Verständnis der menschlichen Natur haben, dass wir in unserem Wunsch, unseren Mitmenschen zu helfen, keine Fehler machen können? Diese höhere Form des Hellsehens wird sich entwickeln, je weiter die Rasse voranschreitet, aber wir können deren Kommen beschleunigen, indem wir den Yoga der Pflicht und der Selbstlosigkeit ausüben. Manche würden das eine Stärkung der Moral nennen, aber der höhere Yoga enthält mehr als das, was wir im Allgemeinen mit diesen Worten meinen.

Wenn wir ihn besser verstehen, bemerken ernsthafte Aspiranten, dass intuitive Eigenschaften in uns zu erwachen beginnen. Wenn keine Gefahr besteht, dass wir diese missbrauchen, können sich daraus glänzende Fähigkeiten entwickeln und das Bewusstsein wird sich in überraschender Weise erweitern.

Wir müssen unseren eigenen Kampf führen. Ein bekannter okkulter Spruch lautet: „Der Adept wird, er wird nicht gemacht“. Wir können Leiter finden, die uns vor den Fallgruben auf dem Pfad warnen, Lehrer, die unsere verborgenen Schwächen ans Licht bringen und die uns zeigen, wie wir sie besiegen können; aber wir müssen unsere eigenen Erlöser sein. Auf dem Yoga-Pfad gibt es kein ‘stellvertretendes Leiden’, aber es gibt Hilfe und, wie bereits vorher gesagt, „wenn der Schüler bereit ist, erscheint der Lehrer“. Zwar ist es ein großer Segen, dass es diese Möglichkeit gibt, trotzdem bringt der Läuterungsprozess notwendigerweise unerwartete und unangenehme Enthüllungen mit sich, denen man aufrichtig entgegentreten soll und die überwunden werden müssen. Aber der ernsthafte Schüler erwartet dies, und er bittet seinen Lehrer nicht, seinen Egoismus zu dulden. Andererseits bringt Selbstdisziplin eine wachsende Freude, die allmählich deutlich macht, dass der auf sich selbst gerichtete tierische Mensch, wie intellektuell auch immer, nicht der wahre, unsterbliche Mensch ist, „für den die Stunde nie schlagen wird“, und dass wir nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen haben, wenn das wahre Selbst unser Meister wird.

Die edelsten Yoga-Lehren des alten Indien wie Der königliche Juwel der Weisheit von Śaṅkarācārya oder die Bhagavad-Gītā zeigen die grundlegenden Bedingungen für eine erhabene spirituelle Entwicklung auf, ohne eine Spur von Psychismus oder niedrigere Formen der Magie, die manche Teile der Hinduliteratur verunstalten, die Tantren genannt, aus denen ein Großteil des westlichen Yoga und okkulter Bücher ihre zweifelhafte und oft gefährliche Kenntnis holen. Śaṅkarācārya und der Autor der Bhagavad-Gītā lehren die Methoden der Selbstbemeisterung, die den Pfad zu spiritueller Weisheit öffnet. Einige Auszüge aus der Wiedergabe der Bhagavad-Gītā von W. Q. Judge geben einen Eindruck von dieser Art der Lehren:

Wenn der so lebende Mensch sein Herz auf das wahre SELBST konzentriert und frei ist vom Hängen an jeglichem Verlangen, dann wird von ihm gesagt, dass er Yoga erreicht hat.

– VI, 18

In diesem Yoga-System wird weder eine Anstrengung vergeudet, noch gibt es irgendwelche üblen Folgen; selbst ein klein wenig von dieser Übung schützt einen Menschen vor großer Gefahr.

– II, 40

Es gibt keinen Reiniger auf dieser Welt, der mit spiritueller Erkenntnis vergleichbar ist, und wer in Hingabe an das Göttliche vollkommen ist, findet, wie im Laufe der Zeit spirituelle Erkenntnis spontan in ihm selbst entspringt.

– IV, 38

Solche erleuchteten Weisen, deren Sünden erschöpft sind, die frei von Täuschung sind, die ihre Sinne und Organe unter Kontrolle haben und sich dem Wohle aller Geschöpfe hingeben, gehen in den Höchsten Geist ein.

– V, 25

Suche diese Weisheit durch Dienen, durch eindringliches Forschen, durch Fragen und durch Demut; die Weisen, die die Wahrheit sehen, werden sie dir bekannt geben, und sie erkennend, wirst du niemals wieder in Irrtum verfallen, o Sohn Bharatas.

– IV, 34/35

Śaṅkarācārya schreibt:

Die Vision der Seele ist jenem zu eigen, der frei von Leidenschaft ist; die ständige Inspiration gehört jenem, der mit der Seele sieht. … Die erste Freiheit bringende Ursache wird so erklärt, dass man sich vollständig von der Begierde nach nicht dauerhaften Dingen abwenden muss. Dann folgen Frieden, Selbstbeherrschung, Ausdauer, eine vollkommene Entsagung von allen Handlungen, die Anhaften bewirken oder eine Verunreinigung darstellen. … Selbst gut beherrscht, erwirbt er die Frucht und die Belohnung, und seine Belohnung ist das Wirkliche. … Für das Selbst ist alles, was es sieht, nur Sinnestäuschung; es dauert nur einen Augenblick; wir sehen und wissen, es ist nicht „ich“; wie könnte das persönliche Selbst, das sich jeden Augenblick ändert, sagen: „Ich weiß alles ?“

Oriental Department Papers, 1895-6.

Es ist in der Tat bedeutungsvoll, dass Krishna, die Innere Gottheit, Arjuna nicht in der Einsamkeit einer Einsiedlerhütte unterrichtet, sondern inmitten des Waffenlärms auf dem Schlachtfeld, was den Eindruck vermittelt, dass es sich dabei um die Handlungen und Erprobungen des täglichen Lebens in der Welt handelt.

Fußnoten

1. Od – ein von Reichenbach zur Benennung der Lebensflüssigkeit gebrauchter Ausdruck – ist auch ein tibetisches Wort mit der Bedeutung Licht, Helligkeit, Strahlen (HPB, The Secret Doctrine, I:76, Fußnote). [back]

Die Bibel – II

Reinkarnation

Weil die Lehren von Reinkarnation und Karma einen so wichtigen Teil der alten Weisheit ausmachen, aus der alle Religionen hervorgegangen sind, ist es wichtig, der Frage nachzugehen, weshalb so wenig davon im Christentum zu finden ist – aus dem einfachen Grund, weil sie gestrichen wurden. Der verstorbene Professor F. S. Darrow schrieb:

Eine kritische Geschichte der Lehren über Präexistenz und Reinkarnation wurde noch nie geschrieben. Das verfügbare Material für solch eine Geschichtsschreibung ist jedoch sehr umfangreich. Ich habe in meiner Bibliothek – ohne die geringste Übertreibung – buchstäblich hunderte von Büchern, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Viele davon behandeln ausschließlich diese Themen.

… Die theosophischen Lehren in Bezug auf die Präexistenz und die Wiedergeburt der menschlichen Seele wurden deutlich und immer wieder in der Christlichen Welt verkündet – von den Anfängen des Christentums an bis heute. Aber die Anerkennung dieser Wahrheiten unter bekennenden Christen war von Zeit zu Zeit sehr unterschiedlich, dem Ausmaß an Veröffentlichungen entsprechend, die in wechselnden Perioden möglich erschienen.

Derselbe Autor teilt das Thema chronologisch in drei Teile ein. Erstens die Periode des frühen Christentums bis zur Synode von Konstantinopel im Jahr 553, als die Lehren des Kirchenvaters Origenes offiziell als ‘ketzerisch’ verurteilt wurden.1 Dann die Periode von 553 bis 1438, als Gregorius Gemistus Florenz besuchte und die Philosophie von Plato neu belebte. Und schließlich die Periode von 1438 bis zu unserer Zeit.

Die Ursache, weshalb von diesem Wissen über Präexistenz und Reinkarnation nichts mehr zu hören ist, liegt darin, dass auf dieses Thema nicht mehr eingegangen wurde. Es gibt einen Überfluss an Literatur, aber da sie als ketzerisch verbannt wurde, geriet sie in Vergessenheit. Der Grund für diese Verbannung ist leicht zu erkennen. Diese Lehren zuzulassen, würde die Türe zu vielen Dingen öffnen, die mit dem kirchlichen Christentum unvereinbar sind. Und so ist uns die absurde Lehre geblieben, dass eine Seele in einem bestimmten Augenblick geschaffen wird und danach für ewig weiterexistiert. Sie überdauert zwar den Körper, kennt aber keine Präexistenz. Und die Lehre räumt uns eine Lebensdauer von circa 70 Jahren ein, die im Vergleich zum Meer der Ewigkeit, in dem wir uns befinden, zu einem Nichts wird.

Die christliche Lehre, so wie sie im Allgemeinen verkündet wird, gibt keine andere Erklärung für die Ungleichheiten und Unvollkommenheiten des menschlichen Lebens, als sie dem unerforschlichen Willen eines persönlichen Gottes zuzuschreiben. Das steht im Widerspruch zu dem Forschungsdrang und Durst nach Erkenntnis, den jeder freie Mensch besitzt. Sein angeborenes Gefühl für Gerechtigkeit lehnt sich dagegen auf, was er zu glauben gezwungen wird; sein Studium von der Natur verschafft ihm Einsicht in die Existenz von Gesetz und Ordnung, aber sein Religionsunterricht läuft dieser Auffassung zuwider anstatt sie zu bestätigen – was dem Gedanken Nahrung gibt, dass ihm seine Religion in verstümmelter Form überliefert wurde. Anstatt aus diesem Grund die Religion abzulehnen wäre es jedoch besser zu versuchen, den Schaden wieder gut zu machen und das Wahre vom Falschen zu unterscheiden.

Oft wird die Frage gestellt, ob Jesus selbst jemals die Reinkarnation lehrte. In seinem Buch Studies in Occult Philosophy schreibt Dr. G. de Purucker Folgendes darüber:

Ich wüsste nicht, dass es außerhalb der Evangelien eine Aufzeichnung gibt. Dort sind nur unbestimmte Anspielungen von rein mystischem Charakter zu finden, so wie die Frage des Nikodemus oder wie die Erklärung: „Dies ist der wiedergekommene Elias.“ Wir müssen immer an die allgemeine Tatsache der Geschichte denken, dass die Lehre der Reinkarnation in der einen oder anderen Form als Lehre bekannt war und von den Pharisäern in Judäa in der Zeit, in der Jesus vermutlich erschienen war, akzeptiert wurde. Sie war allgemein bekannt und wurde allgemein akzeptiert, tatsächlich in einem viel größeren Maße als heute in der Welt. …

Es gibt vier oder fünf solcher Anspielungen, aber keine direkten und spezifischen Erklärungen. Doch lautet die Frage: Lehrte Jesus die Reinkarnation?, dann ist die richtige Antwort: Ich bin vollkommen überzeugt, dass er es tat, denn die Reinkarnation war eine so allgemeine Lehre, und sie wurde zu seiner Zeit von den größten Denkern so vollständig akzeptiert, dass ein Mensch, der sie nicht akzeptiert hätte, als ein Mensch mit wenig Einsicht und Erziehung betrachtet worden wäre. Doch es gibt absolut keine authentische Aufzeichnung darüber, dass Jesus sie lehrte. Die Evangelien selbst wurden von Männern geschrieben, die irgendwann zwischen fünfzig und zweihundertfünfzig Jahre nach Jesu Tod lebten.

Reinkarnation war also eine der allgemeinen Glaubensüberzeugungen im Römischen Reich, das praktisch die ganze damalige zivilisierte europäische Welt außerhalb des Parthischen Reiches und des Orients einschloss. Das Römische Reich umfasste praktisch ganz Kleinasien und Ägypten, Italien, Griechenland, Gallien, Spanien, Teile Germaniens, den größten Teil Britanniens und kleine Teile Irlands. Alle germanischen Völker glaubten an Reinkarnation, alle keltischen Völker nahmen sie als eine Selbstverständlichkeit an. Sie war eine der druidischen Lehren, sie war eine der intellektuellen Grundüberzeugungen jener Zeit.

– S. 547, 548

Heute wird die Lehre über Reinkarnation von sehr vielen – auch im Westen – akzeptiert und sogar in kirchlichen Kreisen ist sie ein Gesprächsthema. Viele von ihnen bekennen sich öffentlich zu Reinkarnation und sehen darin keinen Widerspruch zu den Lehren Jesu. Diese Entwicklung gibt Anlass zu der Hoffnung, dass sich die Idee verbreiten wird und dass Probleme unserer Zeit, mit denen die Menschen zu kämpfen haben und worüber die Meinungen auseinander gehen, in einem anderen Licht betrachtet werden können. Wenn man erkennt, dass der Mensch sowohl eine Prä- als auch ein Postexistenz hat und immer wieder inkarniert, wird man versuchen, Probleme wie Abtreibung, Euthanasie und ähnliche mehr von einem ganz anderen Standpunkt aus zu betrachten. Diese Möglichkeit besteht nicht, wenn der Mensch als ein bei der Geburt neu erschaffenes Wesen angesehen wird, das nur eine kurze Existenz auf Erden hat, um danach entweder gänzlich zu verschwinden oder für ewig in einem himmlichen Zustand zu verweilen.

Die Lehre von der Dreieinigkeit

Der Vater, der Sohn und der Heilige Geist – drei Personen und doch nur ein Gott. Das ist die christliche Dreieinigkeit. Es hat einen erbitterten Kampf über das wahre Wesen dieses dreieinigen Gottes und das wahre Wesen der Beziehung der drei Personen zueinander gegeben. Während der römischen Zeit war die gesamte christliche Welt uneinig hinsichtlich der Frage, ob der Sohn im Wesen mit dem Vater eins oder ihm ähnlich ist. Ist der Sohn ebenso ewig wie der Vater, oder ging er aus ihm hervor? Die streitenden Parteien werden oft beschuldigt, um Nichtigkeiten ein großes Aufheben zu machen. Aber das ist nicht gerecht, weil sehr kleine Details in der Symbolik oft von großer Bedeutung sein können. Dieser Glaubensunterschied war das Unterscheidungsmerkmal zweier Gruppen von Christen, die sich im Allgemeinen feindselig gegenüber standen.

Warum wurde die Gottheit als dreieinig dargestellt? Die Lehre ist im Neuen Testament nicht in formeller Form niedergelegt. Sie wurde von kirchlichen Konzilien erstellt, die der Lehre eine Form gaben. Die gewählten Worte sind nicht biblisch. Sobald die Lehre formuliert war, konnte sie verteidigt werden, indem man auf das Neue Testament verwies.

Es ist eine Tatsache, dass eine dreieinige Gottheit an der Spitze aller Theogonien und Kosmogonien gefunden werden kann; und im Allgemeinen beginnen philosophische Systeme mit etwas Ähnlichem. Gleich zu Beginn der Bibel wird sie als der Geist Gottes dargestellt, der über den Wassern des Raumes oder Chaos schwebt und das Universum hervorbringt. Das ist die große schöpferische Dreieinigkeit an der Spitze der Kosmogonien: ein universaler Geist, der Vater von allem; dann kommt das Chaos oder die Große Tiefe oder die Wasser des Raumes, welche oft die Große Mutter genannt werden. Aus diesen beiden geht der Sohn hervor, der das Universum darstellt. Diese philosophische Dreieinigkeit, die tatsächlich eine logische Notwendigkeit ist, wurde natürlich von der Kirche übernommen; dies brachte sie in Harmonie mit allen anderen Religionen und Philosophien, ganz besonders mit dem griechischen Denken und den verschiedenen orientalischen Systemen, die es in Kleinasien gab. Die Personen dieser Dreieinigkeit konnten dann leicht im Neuen Testament gefunden werden, denn Jesus spricht oft über den Vater und den Sohn und über den Heiligen Geist, den er senden wird. Aber diese Dreieinigkeit ist unvollkommen, denn es gibt zwar einen Vater und einen Sohn, aber keine Mutter. In der Kirche wird dies durch die Jungfrau ergänzt, auch wenn sie kein Teil der Dreieinigkeit ist. Die Jungfrau ist der Magna Mater oder Großen Mutter entlehnt, die in vielen asiatischen Religionen, die in Teilen des römischen Reiches vorherrschten, so sehr verehrt wurde. Tatsächlich gibt es immer eine Große Mutter, die als die Gemahlin des Vaters gesehen wird, sei es Hera, die Gemahlin des Zeus, Juno, die Gemahlin des Jupiter, Isis, die Gemahlin des Osiris und Mutter des Horus oder wer auch immer.

Im gewöhnlichen christlichen Glauben sind der Vater und der Sohn personifiziert, und der Heilige Geist ist ein ziemlich vager Begriff. Was man Inspiration nennt, ist in vielen Fällen nur rein emotionale Verzückung, mit ziemlich katastrophalen Auswirkungen. Es hat jedoch immer christliche Mystiker gegeben, die eine höhere Form der Inspiration verwirklicht haben. Wir sind uns bewusst, dass manche Leser hier auf den edlen Charakter und erhabenen Lebensstil von vielen hingebungsvollen und ernsthaften Christen hinweisen wollen, aber wir würden das gerne dem inneren Adel der menschlichen Natur zuschreiben, der diese Menschen befähigt, den wahren Geist ihrer Religion trotz deren Mängel in sich aufzunehmen. Mit einem besseren Verständnis des Christentums gäbe es mehr solche Menschen.

Das Kreuz

Er trug sein Kreuz und ging hinaus zur sogenannten Schädelhöhe, die auf Hebräisch Golgota heißt. Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere, auf jeder Seite einen, in der Mitte Jesus.

Johannes 19, 17-18

Denn das Wort des Kreuzes ist denen, die verloren gehen, Torheit; uns aber, die gerettet werden, ist es Gottes Kraft.

– 1 Korinther 1, 18

Darauf sagte Jesus zu seinen Jüngern: Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.

Matthäus 16, 24

Das sind typische Beispiele für die Anwendung des Wortes ‘Kreuz’ im Neuen Testament; es stellt den Balken dar, der bei der Kreuzigung verwendet wurde, oder die christliche Lehre oder eine Last oder ein Opfer. Dieses heilige Symbol des Christentums ist eine bleibende Erinnerung an die wichtigste Lehre, dass Christus für unsere Sünden starb, wodurch wir gerettet wurden. Wir verwenden es auch für die Mühen, die wir auf uns nehmen, wenn wir unseren persönlichen Willen unserem Glauben opfern.

Das Kreuz ist jedoch ein universales religiöses und philosophisches Symbol. Wir begegnen ihm zum Beispiel in Mexiko, Indien und Tibet. In der ägyptischen und hinduistischen Symbolik ist es ebenfalls allgemein bekannt. Das Kreuz ist ein Symbol, das in den heiligen Mysterien des alten Griechenland Verwendung fand. Dr. Lundy erklärt in seinem Buch Monumental Christianity, dass ‘selbst die Juden dieses Zeichen der Rettung anerkannten, bis sie Christus verwarfen’. Und er spricht von einer antiken hinduistischen Statue, einer menschlichen Figur an einem Kreuz, mit Nagelnarben an Händen und Füßen – tatsächlich ein prächristliches Kruzifix.

Die Theosophie zeigt, dass die Lehren der Alten Weisheit in einer universalen symbolischen Sprache bewahrt wurden, welche die wichtigsten Lehren überlieferte. Und das Kreuz ist eines dieser Symbole. Das ist der Grund, weshalb man ihm überall begegnet. Die Sonne, der Mond und das Kreuz bilden eine Dreieinigkeit von Symbolen, die jeweils den Vater, die Mutter und den Sohn andeuten; kosmischer Geist, kosmischer Stoff und das Universum, welches durch die Wechselwirkung von Vater-Mutter geboren wird. Im Falle des Menschen, der eine Kopie des Universums im Kleinen ist, deutet das Kreuz auf das hin, was Johannes das Fleisch gewordene Wort nennt – den Sohn, den Christus, der in jedem Menschen ist und den spirituellen Teil seiner Natur bildet.

Um die Idee, weshalb dieses Symbol gewählt wurde, vollständig zu erklären, müssten wir tiefer darauf eingehen, als es hier möglich ist. Wir können jedoch sehr wohl sagen, dass die zwei Linien des Kreuzes (ganz besonders denken wir hier an das griechische Kreuz, mit vier Armen gleicher Länge) Geist und Stoff darstellen und dass die Kreuzung dieser beiden Linien die Vereinigung oder Wechselwirkung beider Elemente bedeutet, um das geoffenbarte Universum zu bilden. Die spirituelle Monade des Menschen wurde gekreuzigt – hervorgerufen durch den Aufenthalt in einem animalischen Körper, mit dem er ein Kreuz formt – dieser Kreuzigung folgt mit Sicherheit eine Wiederauferstehung.

Dazu ist noch zu bemerken, dass eine wirkliche Kreuzigungszeremonie für Einweihungskandidaten in die heiligen Mysterien stattfand. In manchen Teilen des römischen Reiches bestanden diese noch in der christlichen Ära. Die Kandidaten wurden in einem bestimmten Stadium ihrer Einweihung an ein Kreuz oder an eine kreuzförmige Bank gebunden, wo sie zwei Tage in Trance liegen blieben, während ihre befreite Seele unerlässliche Erfahrungen durchlebte und am dritten Tag wieder zum Leben erwachte. Es ist möglich, dass die Überlieferung in den Evangelien darauf basiert. Wie dem auch sei, die Christen haben das Kreuz übernommen und es später als ihr Symbol gewählt. Die beiden anderen – Sonne und Mond – findet man in den Symbolen Japans und im Islam.

Aber diese Bedeutung des Kreuzes hat man mit jenem Kreuz verwechselt, das im alten Rom zur Vollstreckung der Todesstrafe verwendet wurde – einem Marterpfahl, meistens mit einem Querbalken an der Spitze, an dem der Verbrecher festgemacht wurde. Ob es tatsächlich einen Lehrer gegeben hat, der nach einem sehr kurzen Auftritt gefangen genommen, verurteilt und in dieser Weise hingerichtet wurde, ist zu bezweifeln. Es gibt kein einziges historisches Zeugnis, das dies bestätigen würde.

Die Kreuzigung Christi ist der symbolische Name für eine der wichtigsten Lehren der Alten Weisheit, wurde jedoch in eine Erzählung über die tatsächliche Kreuzigung Jesu durch Pontius Pilatus unter der Regierung von Tiberius materialisiert. Kritiker, die an der Authentizität dieser Überlieferung zweifeln oder – wenn die Geschichte authentisch ist – an deren Bedeutung, sind mit ihren Bedenken zu weit gegangen, indem sie das Christentum selbst oder manchmal sogar alle Religionen verwarfen. Das beweist, wie wichtig es ist, das Wahre vom Falschen zu trennen und Vorsorge zu treffen, dass spirituelle Wahrheiten, die in symbolische Sprache gekleidet sind, nicht buchstäblich und auf materialistische Weise interpretiert werden.

Das Zeichen des Kreuzes ist ein heiliges Symbol geworden, ein Zeichen, das seinen Wert in einer Kombination von Ideen findet. Fromme und mystische Menschen verwenden es als ein wirksames Mittel zur Anrufung geistiger Hilfe, obschon es manchmal auch als Kriegsbanner diente. All dem kann noch hinzugefügt werden, dass das Kreuz ein besseres Symbol ist, wenn es innerhalb eines Kreises gezeichnet wird oder an den oberen Balken ein Kreis angefügt wird. Der Kreis steht für den Geist, das Kreuz allein hingegen bedeutet das Materielle. Das kann als charakteristisch für die durch das Christentum dominierten Zeiten betrachtet werden. Diese sind – wie bereits weiter oben dargestellt – von einer buchstäblichen Interpretation mystischer Symbole gekennzeichnet.

Die Mysterien

Im alten Griechenland gab es die Mysterien von Eleusis und andere, weniger bekannte Mysterienschulen, in denen Kandidaten zur Initiation aufgenommen wurden. Solche Schulen gab es auch in Ägypten, Indien und verschiedenen anderen Ländern. Man hat festgestellt, dass zwischen den Schulen in verschiedenen Städten Beziehungen unterhalten wurden und dass sie eine einheitliche Lehre vermittelten. Das war die Geheimlehre oder die Weisheitsreligion, deren moderner Vertreter die Theosophie ist. Da der Mensch essenziell göttlich und durch die Evolution ein direkter Nachkomme göttlicher Wesen ist, hat er die Fähigkeit, die latenten spirituellen Kräfte in sich zu erwecken. Dies nennt man den Pfad der Weisheit und er ist eigentlich im wahren Sinne des Wortes die Erlösung. Die Evangelien enthalten ausreichende Hinweise, dass der Lehrer, dessen Worte dort zum Ausdruck gebracht werden, sich der Existenz dieses Pfades bewusst war. Er wollte, dass seine Jünger diesem folgen und nennt ihn das Königreich Gottes. Es wird auch berichtet, dass er neben dem, was er die Menge lehrte, im Verborgenen zu seinen Jüngern sprach.

In Ägypten und Teilen Asiens existierten in der christlichen Ära noch einzelne dieser Mysterienschulen, und ihr Einfluss zeigt sich deutlich in den Lehren der Gnostiker, der Neuplatoniker und anderer, mit denen zusammen sich das Christentum entwickelte. Der Prozess der Auswahl und des Sammelns, der in den kanonischen Evangelien resultierte, führte dazu, dass einige Auszüge aus diesen Lehren dem Lehrer – genannt Jesus – in den Mund gelegt wurden.

Paulus, der seine Briefe anscheinend vor der Geschichte der Evangelien abgefasst hatte, interpretiert die christlichen Lehren wesentlich esoterischer. Der Art seiner Sprache nach zu urteilen war er selbst initiiert, wenigstens in einem gewissen Grad; aber es ist deutlich, dass er seine Lehren dem beschränkten Fassungsvermögen seiner verschiedenen Zuhörer anpassen musste und sich oft der Bildersprache bediente, deren wahre Bedeutung nur von wenigen verstanden werden konnte.

Die Wiederkehr Christi

Aus den Erzählungen der Evangelien und aus dem, was die Geschichte uns berichtet, können wir schließen, dass sehr viele der ersten Christen sehr zuversichtlich glaubten, Christus würde wirklich physisch wiederkehren – und zwar recht bald, um das Böse zu vernichten und ein Reich der Gerechten auf Erden zu gründen. Dieser Gedanke war mit dem Verfall des römischen Reiches verbunden, welches als die böse Gesellschaft galt, die Christus umstürzen sollte, und es ist kein Wunder, dass diese Christen die Missgunst der römischen Herrscher erregten.

Auch die Juden, aus denen so viele Christen hervorgingen und deren Einfluss auf die christlichen Ideen groß war, hatten ihre eigenen Prophezeiungen über die Wiederkehr des einen oder anderen ihrer eigenen Propheten als der ‘Messias’; und dieser Gedanke hat offenbar viel zu dem Glauben an die Wiederkehr Christi beigetragen. Einige Bibelkritiker sind davon überzeugt, dass Jesus selbst, jedenfalls zu einer bestimmten Zeit, daran glaubte. Wir müssen aber im Auge behalten, dass die uns überlieferten Evangelien zum größten Teil angepasst sind.

Ein ziemlich unbestrittenes Beispiel dafür kann im Evangelium nach Matthäus 24, 3 gefunden werden, das in der Authorisierten Fassung ziemlich falsch aus dem Griechischen übersetzt wurde. In der von einer Gruppe von Theologen und Schülern im Jahre 1881 angefertigten Überarbeiteten Fassung wurde es jedoch richtig übersetzt. Ein Vergleich der beiden Auslegungen zeigt, dass die früheren Übersetzer das griechische Original in eine Bestätigung ihrer Ansichten über die Rückkehr verdrehten. Die Abschnitte lesen sich wie folgt:

Authorisierte Fassung: Als er auf dem Ölberg saß, wandten sich die Jünger, die mit ihm allein waren, an ihn und fragten: Sag uns, wann wird das geschehen, und was ist das Zeichen für deine Ankunft und das Ende der Welt?

Überarbeitete Fassung: … das Zeichen Deiner Gegenwart und für die Vollendung der Zeitalter?

Wir haben hier eine Anspielung auf die Lehre von den Zyklen, von der Aufeinanderfolge der großen Wurzelrassen. Die ‘Vollendung der Welt’ findet statt, wenn die heutige Wurzelrasse ihren Zyklus vollendet hat. Die Menschheit wird sich teilen: in diejenigen, die weit genug fortgeschritten sind, um den Kern der folgenden großen Rasse zu bilden, und diejenigen, die zurückbleiben. Symbolisch wird das in der Allegorie von der Sintflut und der Arche dargestellt. Die Zivilisation einer Rasse geht unter, die Samen bleiben erhalten. Jesus sagt in seiner Antwort, dass das Ende noch nicht da ist, dass Kriege kommen werden und dass es viele falsche Propheten geben werde. Die Wiederkunft Christi bedeutet, dass der Christosgeist aufs Neue in der Menschheit oder in all denjenigen, die ihn empfangen können, erweckt wird.

Unter den Christen von heute, die noch immer eine tatsächliche physische Wiederkunft Christi erwarten, sind die Adventisten; es gibt auch Christen, welche die Bücher von Daniel, Ezechiel und die Offenbarung in diesem Sinne erklären. Doch obwohl diese Prophezeiungen mit großen zyklischen Veränderungen verbunden sind und obwohl die Adventisten sich solcher bevorstehender Veränderungen intuitiv bewusst sind, sind ihre Interpretationen zu buchstäblich und zu materialistisch.

Die Goldene Regel

Diese Regel wird oft als typisch für das Christentum bezeichnet, aber es ist bekannt, dass sie in allen anderen Religionen vorkommt. Um hier einige Beispiel anzuführen, wo wir überall auf diese Regel stoßen, möchten wir einige Zitatstellen aus James Alan Longs Buch Bewusstsein ohne Grenzen anführen:

Indianer Amerikas – Großer Geist, gewähre, dass ich meinen Nächsten nicht kritisiere, ehe ich nicht eine Meile in seinen Mokassins zurückgelegt habe.

Buddhismus – Auf fünffache Weise sollte ein Sippenangehöriger seinen Freunden und Verwandten dienen – durch Großzügigkeit, Höflichkeit, Wohlwollen, indem er sie so behandelt, wie sich selbst und indem er treu zu seinem Wort steht.

Christentum – Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das sollt ihr ihnen tun, denn das ist das Gesetz und die Propheten.

Konfuzianismus – „Gibt es ein einzelnes Wort“, fragte Tsu kung, „das für das ganze Leben als eine gültige Regel angenommen werden kann?“ Der Meister antwortete: „Heißt dieses Wort nicht Sympathie? Füge anderen nicht zu, was du selbst nicht lieben würdest.“

Griechische Philosophie – Füge anderen nicht zu, was du selbst nicht erleiden möchtest.

– ISOCRATES

Behandle deine Freunde so, wie du von ihnen behandelt werden möchtest.

– ARISTOTELES

Hinduismus – Benimm dich gegen andere nicht in der Weise, die dir selbst widerwärtig ist. Das ist die Essenz der Pflicht (Dharma). Alles andere entstammt egoistischem Verlangen.

Islam – Keiner von euch ist gläubig, ehe er nicht für seinen Bruder schätzt, was er für sich selbst schätzt.

Judentum – Du sollst deinen Bruder nicht hassen in deinem Herzen, sondern du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.

Zoroastrismus – Nur jenes Wesen ist gut, das einem anderen nichts zufügt, was ihm selbst schaden würde.

Für einen Theosophen ist die Goldene Regel mehr als ein rein moralisches Gebot. Sie ist ein notwendiges Gesetz der menschlichen Natur. Denn der Mensch, der essenziell göttlich ist, hat sich von seiner eigenen inneren Natur entfernt und muss sie wieder zurückgewinnen. Sein größtes Hindernis ist Selbstliebe; deshalb kann er sein verlorenes Königreich nur zurückgewinnen, indem er diese Eigenliebe überwindet. Er muss lernen, unpersönlich zu handeln. Damit wird deutlich, dass Gedanken an den eigenen Fortschritt, an das Erwerben okkulter Kräfte für sich selbst oder sogar der Wunsch nach Spiritualität niemals ausreichen. Denn wenn wir solchen Wünschen nachgeben, stärken wir nur den Feind, den wir besiegen wollen. Eine schwache Persönlichkeit durch eine stärkere zu ersetzen, kann nicht die Antwort sein. Ein großer Teil unseres täglichen Lebens wird von Handlungen in Anspruch genommen, bei denen von Eigenliebe nicht die Rede ist – selbstlose Verrichtungen, die von einem aufrichtigen Wunsch geleitet werden, jemand anderen zu dienen.

Vielleicht haben wir erlebt, wie wir einem anderen durch die eine oder andere egoistische Tat Leid zugefügt haben. Wir haben uns in einem Gefühl der Reue vorgenommen, so etwas in Zukunft nicht wieder zu tun. Diese Entscheidung entsprang keinem eigennützigen Gedanken, sondern ausschließlich dem Wunsch, anderen kein Unrecht mehr anzutun.

Das Motiv, das in diesen Fällen wirkt, ist Liebe – keine Liebe, die mit Leidenschaft verbunden ist, sondern reine, unpersönliche Liebe. Sie ist eine kosmische Kraft. Sie wirkt auch in der Tierwelt, denn das, was wir so herabsetzend ‘Instinkt’ nennen, ist tatsächlich die reine und einfache Manifestation einer großen kosmischen Kraft, die das Tier dazu bringt, sich für seine Jungen aufzuopfern und den Hund dazu, ohne Zögern für seinen Herrn zu sterben. Der Lehrer aus den Evangelien achtet das Einfache – die Vögel, die anderen Tiere, die Lilien auf dem Felde und die Kinder. Auch wir fühlen uns oft dazu geneigt, wenn wir Erfahrungen mit menschlichem Egoismus gemacht haben.

Wenn also der Lehrer die Goldene Regel verkündet, weist er für diejenigen, die danach streben, die wahre Bestimmung des Menschen zu erfüllen, auf das Gesetz des spirituellen Lebens hin, auf das himmlische Königreich, das Harmonie ist und nicht Streit. Es ist ein Pfad, den der Mensch immer betreten kann und dem die gesamte Menschheit einmal folgen muss, selbst wenn es immer Menschen geben wird, die dieses Ideal nicht erreichen, in einem Zyklus ihre Gelegenheit versäumen und auf die nächste Chance zu Fortschritt warten müssen. Es wird behauptet, die Bergpredigt wäre nicht anwendbar und hätte die Auflösung der Gesellschaft zur Folge. Sie hält uns jedoch ein Ideal vor Augen, und es ist gerade der Besitz eines solchen Ideals, der verhindert, dass der Mensch unter der Last seiner Probleme zusammenbricht. Wenn wir damit anfangen, unsere eigenen Angelegenheiten zu ordnen, erwerben wir vielleicht für uns die Vision und die Kraft, die für eine Umgestaltung der Gesellschaft nötig sind.

Die Goldene Regel zeigt uns den Weg zur Verwirklichung der Einheit aller Lebewesen. Und das wird hauptsächlich in dem Gebot zum Ausdruck gebracht, dass wir unseren Nächsten verzeihen müssen. Wenn dies allerdings nur bedeutet, dass wir unseren Ärger ihm gegenüber unterdrücken und uns auch weiterhin als sein Opfer betrachten, haben wir die wahre Gesinnung der Vergebung noch nicht erreicht. In einem größeren Lebensbild – das wir erstreben und auf dessen Weg uns der Lehrer hinweist – werden wir entdecken, dass unser Nächster tatsächlich ein Teil unseres eigenen Selbst ist. Dann werden alle Gefühle von Ablehnung oder Kampf absurd. In der Finsternis, in der wir uns jetzt befinden, haben wir zu Unrecht die Einheit in zwei Teile gespalten, wobei sich immer einer davon benachteiligt fühlt. Die eigentliche Gesinnung des Vergebens besteht in der Aufhebung dieser Illusion.

Diese Regel ist die wichtigste Vorschrift für den Schüler in jeder Religion oder Philosophie, welche die Selbstverwirklichung als Ziel hat und den Aspiranten auf den Pfad von Weisheit und Wachstum hinweist. Es kann auch nicht anders sein, denn es ist Selbstsucht, die den Menschen an die Illusionen und Frustrationen des irdischen Lebens bindet. Um dem zu entkommen, ist es nötig, zugunsten eines höheren Gesetzes von der Selbstsucht Abstand zu nehmen. Es ist vielleicht angebracht hinzuzufügen, dass die strikte Befolgung eines Gesetzes – wie zum Beispiel die Bergpredigt – von einem Durchschnittsmenschen zu viel fordert. Aber auch wenn wir vielleicht die hohen Gipfel den wenigen überlassen müssen, die stark genug sind, um sie zu erklimmen, steht jeder Mensch jeden Augenblick vor der Wahl zwischen selbstsüchtigem und selbstlosem Verhalten. Er muss sich entscheiden. Wenn er das Ideal vor Augen hat und den Sinn dahinter erkennt, wird er imstande sein, die richtige Wahl zu treffen. Damit bereitet er sich auf die Zukunft vor. Denn für jeden muss einmal der Tag kommen, an dem ein Ausweichen nicht länger möglich ist und er sich endgültig entschließen muss, welchen Weg er einschlagen wird. Niemals war die Ausübung von Selbstlosigkeit notwendiger als heute; und die Menschen würden Selbstlosigkeit leichter erreichen, wären sie nicht von materialistischen Formen von Religion und Wissenschaft behindert, die den niederen Aspekt der menschlichen Natur betonen. Religion und Wissenschaft sind sich noch kaum der Tatsache bewusst, dass jeder Mensch in seinem eigenen tiefsten Wesen alle Möglichkeiten besitzt, um über das kleine Menschliche zum wahrhaftig Menschlichen hinauszuwachsen und – wenn er den Weg beschreiten will – zum Göttlichen.

Der innewohnende Christus

Damit ist jener Christus gemeint, der in jedem menschlichen Herzen wohnt, nicht der Mann Christus, der angeblich gekreuzigt wurde. Die Lehre des immanenten Christus wird in den Evangelien und in den Briefen des Paulus gelehrt. Sie kann also von allen Suchenden in der Bibel gefunden werden. Diejenigen, welche die vermenschlichte kirchliche Lehre der Kreuzigung eines bestimmten Menschen vorziehen, können die biblischen Lehren nur in einem bildlichen Sinne auffassen. Trotzdem wäre es falsch, das Christentum nach seinen gröbsten Formen zu beurteilen. Viele aufgeklärte und freidenkende Geistliche akzeptieren diese Lehre des innewohnenden Christus. Viele hingebungsvolle Christen nähern sich diesem Gedankenbild mehr oder weniger. Für viele bedeutet das Leben Christi, wie es in den Evangelien beschrieben wird, ein Ideal und ein Muster, nach dem sie ihr Leben zu gestalten versuchen. Heilige und Mystiker haben sich diesem Gedankenbild durch Nachsinnen über dieses Ideal bis zu einem gewissen Grad angenähert. Aber das ist nicht genug. Noch zu oft herrscht der Gedanke vor, dass der Mensch schwach ist, in Sünde geboren, und dass er auf die Erlösung nach dem Tod wartet. Für sie wäre der Versuch, Christus nachzufolgen, eine Anmaßung ihm gegenüber. Ursprünglich jedoch ist Christus der Göttlichen Geist, der im Herzen unseres Wesens wohnt – der Christus, der geopfert und begraben ist und in uns wieder auferstehen soll. Bestimmte große Lehrer können in gewissem Sinne Christusse genannt werden, weil sie einen Zustand der Selbstverwirklichung erreicht haben, von dem bei der Mehrheit überhaupt noch keine Rede ist. Aber sie stellen sich nicht als der einzige Sohn Gottes dar, sondern führen uns durch ihr Leben ein Beispiel vor Augen, dem wir nachfolgen können. Wir alle sind Söhne Gottes, so wie Jesus das war; und wir können tatsächlich erreichen, was er erreichte, so wie er es verspricht:

Amen, amen, ich sage euch: Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich vollbringe, auch vollbringen, und er wird noch größere vollbringen, denn ich gehe zum Vater.

Johannes 14, 12

Dieser immanente Christus wird der ‘Sohn’ genannt und der göttliche Geist oder ‘Vater’.

… niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will.

Matthäus 11, 27

An dieser Stelle wollen wir ein Zitat aus The Esoteric Character of the Gospels [Collected Writings, Band viii, S. 172-217] von H. P. Blavatsky anführen:

Der erste Schlüssel, den man braucht, um die dunklen Geheimnisse zu entwirren, welche in dem mystischen Namen Christus stecken, ist der Schlüssel, der die Tür zu den alten Mysterien der frühen Āryaner, Sabäer und Ägypter erschloss. Die Gnosis, die durch das christliche Schema verdrängt wurde, war universal. Sie war das Echo der ursprünglichen Weisheitsreligion, die einst das Erbe der ganzen Menschheit gewesen war; und darum kann man mit Recht sagen, dass der Christus-Geist (der göttliche Logos) in seinem rein metaphysischen Aspekt von ihren Anfängen an in der Menschheit gegenwärtig war. Der Verfasser der Homilien des Clemens hat recht. Das Christus-Mysterium, von dem man jetzt annimmt, dass Jesus von Nazareth es gelehrt habe, „war identisch“ mit dem, was von Anfang an „denjenigen, die würdig waren, mitgeteilt wurde“, … .

… und die Worte wenden sich an diejenigen, welche, ohne Eingeweihte zu sein, danach streben und es durch persönliche Anstrengungen erreichen, das Leben zu leben und die sich daraus naturgemäß ergebende spirituelle Erleuchtung erhalten, indem sie ihre Persönlichkeit – den ‘Sohn’ – mit dem ‘Vater’ vereinigen, ihrem individuellen göttlichen Geist, dem Gott in ihnen.

Dazu ein Vergleich mit der Bibel selbst:

Wisst ihr denn nicht, dass wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben. Wenn wir nämlich ihm gleich geworden sind in seinem Tod, dann werden wir mit ihm auch in seiner Auferstehung vereinigt sein. Wir wissen doch: Unser alter Mensch wurde mitgekreuzigt, damit der von der Sünde beherrschte Leib vernichtet werde und wir nicht Sklaven der Sünde bleiben. Denn wer gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde. Sind wir nun mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden.

Römer 6, 3-8

Der Erste Mensch stammt von der Erde und ist Erde; der Zweite Mensch stammt vom Himmel.

Korinther 15, 47

Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden.

Korinther 15, 22

Adam bedeutet im Hebräischen ‘irdisch’ und stellt die irdische Natur des Menschen dar; aber man hat die Allegorie buchstäblich aufgefasst und einen Menschen daraus gemacht. Paulus wendet das Wort aber hier in der richtigen symbolischen Bedeutung an. Demgegenüber steht der himmliche Mensch – Christus –, der spirituelle Teil der menschlichen Natur. Der eine ist sterblich, der andere unsterblich. Aber bezieht sich das auf einen Zustand der Vollendung nach dem Tod? Keineswegs, denn gemäß dieser Lehre können wir ihn erreichen, während wir auf Erden sind. Die Erde ist der Ort, wo der Mensch arbeitet; hier lernt er seine Lektionen und muss die irdischen Kräfte besiegen. Den Zustand, in welchem wir das erreicht haben und aufhören, in unserer irdischen Natur tot zu sein und mit Christus lebendig werden, nennt man die zweite Geburt.

Im Evangelium nach Matthäus (3, 11) sagt Johannes der Täufer:

Ich taufe euch nur mit Wasser (zum Zeichen) der Umkehr. Der aber, der nach mir kommt, ist stärker als ich, und ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe auszuziehen. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen.

Wenden wir uns jetzt zu Johannes, wo ein Rabbiner insgeheim zu Jesus kommt und fragt, was mit der Redensart gemeint ist, dass ein Mensch aufs Neue geboren werden muss, und folgende Antwort bekommt:

Jesus antwortet ihm: Amen, amen, ich sage dir: Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen.

Johannes 3, 3

Kann jemand dann zum zweiten Male in den Mutterschoß eingehen, fragt Nicodemus; und er bekommt zur Antwort:

Jesus antwortet: Amen, amen, ich sage dir: Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; was aber aus dem Geist geboren ist, das ist Geist.

Johannes 3, 5-6

Es hat keinen Sinn, dieses kleine Buch mit Zitaten zu überfrachten, denn die vielen Hinweise auf das Königreich Gottes (oder des Himmels) sind genügend bekannt. Es ist klar, dass dieser Ausdruck auf einen Zustand zielt, der für den Menschen während seines Aufenthalts auf Erden erreichbar ist, und dass die Redensarten in den Evangelien, wo sie ursprünglich herkommen, Aussagen eines Lehrers der Alten Weisheit sind. Sie wurden so zurechtgebogen, als würden sie sich auf einen segensreichen Zustand nach dem Tod beziehen, was viele Menschen nicht sehr anspricht und nicht in das allgemeine Schema passt, welches wir aus unserer Kenntnis über die Natur und das Leben ableiten.

Fußnoten

1. Origenes lehrte unter anderem, dass das ganze Universum lebt, dass sogar die Sterne Lebewesen sind und eine Seele besitzen. Weiter sagte er, dass verkörperte Seelen sowohl eine Prä- als auch eine Postexistenz haben müssen. Die Seelen haben vor der Geburt gelebt, werden aufs Neue leben und sich in verschiedenen Völkern verkörpern. So wie er sich ausdrückte, werden sie das eine Mal ein Ägypter, ein anderes Mal ein Jude sein. Diese Auffassungen von Origenes, nebst einer Anzahl anderer, wurden bei der Synode von Konstantinopel für ketzerisch erklärt. [back]

Der Beginn des Lebens auf Erden

Es wurde bereits erwähnt, dass alle Lebenswogen vom Mond sieben Mal um die sieben Globen der Erdkette wandern müssen, aber diese Reisen dauern so unvorstellbar lange, dass sie uns wie viele Ewigkeiten erscheinen würden. Bei der Betrachtung dieser Philosophie beeindruckt die Gründlichkeit und die Präzision der Arbeitsweise der Natur zutiefst. Alles wiederholt sich, bis es für Fehler keine Möglichkeit mehr gibt; und dennoch bringt jede Wiederholung eine geringfügige Variation zum Vorangegangenen mit sich, einige neue Bedingungen und Gelegenheiten. Die Lebensperiode auf jedem Globus ist enorm lang, und beim Übergang vom einen auf den nächsten Globus gibt es auch noch eine Ruheperiode. Es ist also klar, dass wir in der Vergangenheit auf all diesen Globen gelebt haben, dass wir das aufs Neue tun werden und dass auf jedem Globus die Arbeit der Schöpfung des Menschen langsam voranschreitet.

Die Lebenswoge durchläuft in jeder Runde auf jedem Globus sieben große Wurzelrassen, deren Lebensdauer im Durchschnitt jeweils etwa neun Millionen Jahre beträgt. Jede Wurzelrasse hat sieben Unterrassen, jede Unterrasse sieben Familienrassen, die sich ihrerseits wieder in Nationen, Stämme und so weiter verzweigen. Gegenwärtig befinden wir uns in der vierten Runde auf Globus D, in der vierten Unterrasse der fünften Wurzelrasse und haben infolgedessen in dieser Runde den aufsteigenden Bogen zur Spiritualität begonnen. Am Mittelpunkt des Lebens auf diesem Planeten, nämlich in der Mitte der vierten Wurzelrasse dieser Runde, wurde die Tür geschlossen, die den Zutritt zum menschlichen Stadium ermöglichte – mit einer Ausnahme, auf die wir später zurückkommen werden. Deshalb ist die menschliche Familie für das gegenwärtige Manvantara oder den jetzigen Evolutionszyklus annähernd vollständig.

Wir müssen uns stets vor Augen halten, dass es der dem göttlichen Ursprung entstammende Gottesfunke ist, der sich in all den Veränderungen in Hüllen mineralischer, pflanzlicher oder anderer Art kleidet. Durch diese enge Beziehung lernt er immer kompliziertere Körper zu benutzen. Diese fortwährende Anpassung hört niemals auf. Im Universum bleibt nichts auch nur für eine Sekunde im Status quo. Diesem vorwärtsdrängenden Impuls zu widerstehen, bedeutet sich rückwärts zu bewegen. In diesem Prozess fortwährender Veränderung wirken sich immer zwei Faktoren aus, was ewig gültig ist, vom niedersten bis zum höchsten. Es gibt immer einen inneren Impuls und eine äußere intelligente Kraft, welche die Entfaltung führt und begleitet.

Die niederste Daseinsform ist ein Leben in Materie, die selbst nichts anderes ist als der Gegenpol des Geistes und die weniger entwickelten Leben umfasst. Wir leben in einem spirituellen Universum, das in all seinen unendlichen Reichen durch eine endlose Reihe niederer und höherer Intelligenzen arbeitet. Auf der höchsten Sprosse der Leiter dieses Globus befindet sich ein wunderbares Wesen. Es befindet sich an der Schwelle zum LICHT, die es nicht verlassen wird, solange es noch Erdenkinder gibt, die ihren Pfad verlieren könnten. Dieses Wesen wird als der Stille Wächter bezeichnet, obwohl er in Wirklichkeit namenlos ist. Die Erde kann ihn nichts mehr lehren, aber von seinem selbst erwählten Posten aus führt er die unterhalb von ihm stehenden Großen, die in einer ununterbrochenen Reihe geringerer Gottheiten, Herrscher, Lehrer und göttlicher Dynastien zu unserer halberwachten Menschheit herabsteigen. In den unzähligen Hierarchien der Natur muss absolute Harmonie herrschen. Die Aufgabe des Menschen besteht darin, seinen Platz in diesem Universum zu finden, von dem er ein wesentlicher Teil ist, und diesen Platz in vollkommener Weise einzunehmen.

Jede Runde hat ihr besonderes Oberhaupt, und darunter stehen jene Wesen, welche den einzelnen Globen dieser Runde vorstehen. Jede Rasse und jede Nation hat ihren eigenen Wächter, so auch jeder Mensch, der seinen eigenen inneren Gott hat. Der Mensch selbst ist das Resultat von Scharen von Schöpfern, von denen einige für seinen Körper, andere für seine psychische, seine mentale und seine spirituelle Natur sorgen. Seine Vervollkommnung vollzieht sich, solange dieser Planet besteht – ein Prozess der viele, viele Millionen Jahre dauert. So sehen wir, wie unvollständig der Mensch noch ist – eigentlich noch ein Kind, das praktisch nichts über seine eigene essenzielle Natur weiß und sich seiner wahren Beziehung zu anderen so wenig bewusst ist, dass es seine Mitmenschen bekämpft und vernichtet, obwohl sie einen Teil seines eigenen Wesens bilden.

In der ersten Runde waren die Globen der Erdkette und alles, was sie enthielten, noch sehr etherisch. Sie bestanden aus einer kalt leuchtenden, äußerst etherischen Substanz. Gegen Ende der ersten Runde entwickelte diese Substanz die Basis für das, was wir in unserer gegenwärtigen Runde als Feuer kennen. Als Runde zwei und drei Fortschritte machten, fand eine allmähliche Verfestigung statt. Das Element Luft wurde in der zweiten und das Element Wasser in der dritten Runde entwickelt. Aber erst in der gegenwärtigen Runde nahm unsere Globus D eine feste Gestalt an, und es entwickelte sich das Element, das wir Erde nennen.

Die ersten Runden der Lebenswoge können nur sehr allgemein dargestellt werden. Erst wenn wir bei Globus D unserer heutigen Runde ankommen, können wir uns einigermaßen ein Bild davon machen, was tatsächlich stattfand. Das bedeutet nicht, dass die langen Äonen der Vorbereitung für den Aufbau des Menschen an sich durch eine vage Passivität gekennzeichnet waren, wobei nichts Wesentliches geschah. Es bedeutet nur, dass Beschreibungen nutzlos sind, weil wir nichts kennen, womit wir die Prozesse vergleichen könnten.

Wenn wir in unserem Studium bei Globus D unserer heutigen Runde anlangen, nimmt unsere Vorstellung deutlichere Umrisse an, und die Einzelheiten werden zahlreicher. Gerade in dieser Periode wurde die Arbeit an der Gestaltung des menschlichen Körpers, so wie wir ihn jetzt kennen, in Angriff genommen. Dies war an sich keine leichte Aufgabe. Wir werden uns dessen bewusst, wenn wir die außerordentliche Präzision untersuchen, mit welcher der Körper aufgebaut ist und mit der er die unzähligen Hierarchien geringerer Lebensformen, aus welchen er zusammengesetzt ist, in vollkommener Harmonie koordiniert.

Dieses Zeitalter der ‘Vorbereitung des Vehikels’ wird in den Stanzen des Dzyan poetisch beschrieben, einem archaischen Manuskript, das von H. P. Blavatsky in ihrem Werk Die Geheimlehre zitiert wird. Die Erde wird dort als ungeduldig bezeichnet. Sie unternimmt selbst die Anstrengung, ihren Globus zu bevölkern. Dabei erschafft sie den ‘Wasser-Menschen, furchterregend und schlecht’, der von den höheren Dhyānis oder Planetengeistern, welche die Evolution der Erde leiteten, vernichtet werden musste. Wie fantastisch diese Erzählung manchen Menschen auch erscheinen mag – sie beruht auf einer wahren Begebenheit in einer frühen Übergangsperiode, als schwer zu beschreibende Ungeheuer aus der überreichlichen Energie von Mutter Erde entstanden.

Als die Erde allmählich gereinigt war, wurde die Gestalt des zukünftigen menschlichen Körpers ausgearbeitet und dabei das Muster der affenähnlichen, etherischen Formen korrigiert, welche die ‘Menschen’ der dritten Runde evolviert hatten. Das war die erste Wurzelrasse auf Globus D dieser Runde, bekannt als die ‘Selbst-Geborenen’, weil sie ihre Nachkommen durch einen Prozess hervorbrachten, den wir als ‘Teilung’ bezeichnen könnten, weil sich ein Stück vom Elternteil abtrennte – ungefähr dem Teilungsprozess heutiger Zellen entsprechend.

Ihre Heimat war in der Gegend des Nordpols, dem unvergänglichen Heiligen Land, das vom Beginn bis an das Ende dieses Erdzyklus oder Manvantaras besteht und auch die Heimat der letzten vollkommenen Rasse sein wird. Es ist schwierig, sich irgendeine Vorstellung von diesen Wesen der ersten Rasse zu machen, die kein Skelett, keine Haare und keine echte Haut hatten und die fast formlos waren. Sie sind als die Chhāyā-Rasse bekannt, was ‘Astralbild’ bedeutet. Im Laufe der Evolution verdichtete sich der Astralstoff allmählich und wurde halb-astral, als die zweite Rasse auf der Bühne erschien, die bereits deutliche, wenn auch noch unvollkommene Umrisse davon zu zeigen begann, was in späteren Zeitaltern, gegen Ende der dritten Wurzelrasse, zu Körpern menschlicher Gestalt werden sollte, auch wenn diese im Vergleich zur heutigen menschlichen Gestalt noch unvollkommen waren.

Die zweite Wurzelrasse pflanzte sich durch einen Prozess der ‘Knospung’ fort. Es trennte sich nur ein kleiner Teil ab, sozusagen eine ‘Knospe’, und diese fing an zu wachsen und sich zu einem Wesen zu entwickeln, das in allen wichtigen Hinsichten dem Elternteil glich.

Die Heimat der zweiten Rasse lag weiter südlich und umfasste Teile von Grönland. Im Laufe ihrer Evolution entwickelte sich ihre Fortpflanzungsweise zu dem, was jetzt die ‘Schweiß-Geborenen’ genannt wird. Große Tropfen traten aus dem Körper aus und entwickelten sich allmählich zu menschlichen Embryonen. Alle diese Veränderungen nahmen unzählige Zeitalter in Anspruch, aber Zeit bedeutete diesen träumenden Geschöpfen nichts; ‘für sie waren tausend Jahre wie ein Tag’. Sie schufen die dritte Wurzelrasse und verschwanden, ohne äußere Beweise ihrer Existenz zu hinterlassen.

Der Körper des Menschen: ein gewaltiger Resonanzboden

Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt … .?

– 1 Kor, 6, 19

Jedes menschliche Organ und jede Zelle in ihm hat seine eigene Tastatur, wie die eines Klaviers, nur dass sie anstelle von Tönen Empfindungen registriert und sendet. Jede Taste enthält das Potential des Guten oder Bösen, des Hervorbringens von Harmonie oder Disharmonie. Das hängt von dem gegebenen Impuls und den erzeugten Kombinationen ab, von der Kraft der Berührung eines ausübenden Künstlers – tatsächlich eine „doppelgesichtige Einheit“.

– H. P. BLAVATSKY, Lucifer, VII, 181

Wahrhaftig, dieser Körper – durch den Materialismus und den Menschen selbst so entweiht – ist der Tempel des Heiligen Grals, das Adyton der größten, ja aller Mysterien der Natur in unserem Sonnenuniversum. Dieser Körper ist eine Äolsharfe, die mit zwei Saitensätzen bespannt ist – einer aus reinem Silber gefertigt, der andere aus Darm.

– Ebenda

H. P. BLAVATSKY erklärt weiter, wie der Körper auf die Berührung seines innewohnenden Schöpfers, des dualen Menschen, reagiert. Die Qualität seines Denkens und Empfindens versetzt entweder die reinen silbernen Saiten oder die tierischen Saiten der Harfe durch die Wirkung seines besseren oder niederen Selbst in Schwingung. Der verkörperte ‘Künstler’ spielt fortwährend auf dem einen oder anderen Satz von Saiten. Damit erweckt er in diesen Saiten die Gewohnheit zu reagieren und mitzuschwingen. Der Einfluss seiner gewohnheitsmäßigen Spielweise, die dem Instrument eingeprägt ist, spiegelt sich natürlich in seinem Geist und in seinem Herzen wider. Nur zu oft gewinnen die Gewohnheiten unseres Körpers die Oberhand über unseren Willen und dann wird es schwer, sie zu unserem Besten zu verändern. Es verbirgt sich eine praktische Weisheit in dem Rat, den Salomon uns gab: „Mehr als alles hüte dein Herz; denn von ihm geht das Leben aus“ (Das Buch der Sprichwörter 4, 23).

Zum Glück hat die Natur, die das Material für den irdischen Körper des Menschen zur Verfügung stellt, mehr mit dessen Wirkungsweise zu tun, als der Mensch versteht oder beherrscht. Sein stiller Partner, die Natur, beherrscht seinen Körper so gut, dass der Mensch sein Funktionieren für selbstverständlich erachtet. Der Körper ist mit zwei Nervensystemen ausgestattet: erstens mit dem zentralen Nervensystem, das durch das Gehirn, die Sinne und die willkürlichen Handlungen tätig ist. Da dessen Schwingungen mit der menschlichen Natur in Verbindung stehen, sind sie im Allgemeinen nicht so geordnet wie die rhythmischen Wirkungsweisen des zweiten oder sympathischen Nervensystems, welches von der Natur kontrolliert wird. Da jedoch beide Systeme eng miteinander verknüpft sind, reagieren sie unentwegt aufeinander, indem sie die bewussten, die unterbewussten und die überbewussten Lebenskräfte reflektieren.

Es ist die Natur, die uns in Gang hält, vor der Geburt und auch danach, wenn wir schlafen oder wachen, bewusst oder unbewusst, geistig oder körperlich krank oder gesund sind. Die Natur wirkt durch das automatische Nervensystem, um wieder Ordnung zu schaffen, wenn wir mental oder physisch aus dem Gleichgewicht sind. Alle physiologischen Funktionen sind rhythmisch. Ihre Aktivitäten sind auf den natürlichen Rhythmus des kosmischen Herzschlags abgestimmt.

Medizinische Untersuchungen zeigen, dass in den Funktionen von Atmung, Kreislauf, Verdauung, Sektretion, Ausscheidung, Schwangerschaft und so weiter jedes Organ seine eigene Schwingungszahl hat, seine sich stets wiederholende Bewegung von Ebbe und Flut im Lebensprozess. Winzige, mit Flimmerhärchen versehene Zellen, wie zum Beispiel in den Bronchien, sorgen dafür, dass Feuchtigkeit abfließt, indem sie ihre feinen Härchen in ihrem eigenen Rhythmus vorwärts und rückwärts bewegen. Das Herz wiederholt seinen Zyklus von Kontraktion, Ausdehnung und Ruhe ungefähr viermal so schnell, wie der Luftstrom in den Lungen steigt und sinkt. Dennoch sind beide aufeinander abgestimmt, so dass das Blut aufgenommen, gereinigt und in seinen Kreislauf weitergeleitet wird. Es gibt eine wunderbar ausgewogene Beziehung zwischen den Schwingungen der Organe zueinander und dem ganzen Körper. Das koordinierte System ununterbrochener zyklischer Bewegungen in uns gleicht in seiner geordneten Präzision einem Sonnensystem. Vorsichtig ausgedrückt ist der Körper ein bewundernswerter, lebendiger Mechanismus sich gegenseitig beeinflussender Räder.

Die Mathematik, die in ihren astronomischen Berechnungen so exakt ist, zeigt, dass sich die Verhältnisse der Periodizität im Sonnensystem in unserem Körper wiederholen. Der Pulsschlag unserer Organe entspricht einem Vielfachen des Herzschlags der Sonne. Die Sonne beispielsweise ist das Herz des Sonnensystems. Am Beginn der elfjährigen Sonnenfleckenperiode gibt es etwas, das einer Zusammenziehung und einem Ausströmen der Lebenskraft der Sonne gleicht, ähnlich unserem Blutkreislauf. Die vitalen Sonnenströme erreichen die äußersten Grenzen ihres Systems, um dann allmählich in den nächsten elfjährigen Zyklus zurückzuschwingen.

Die Sonne hat unserer Menschheit während des Kommens und Gehens der vergangenen vier Wurzelrassen Lebenskraft geschenkt. Jede Wurzelrasse evolvierte ihrerseits in einer regelmäßigen Reihe von vier Perioden verschiedenen Charakters und verschiedener Dauer. Unsere gegenwärtige fünfte Wurzelrasse wiederholt diese charakteristische zyklische Reihe. Ihre erste Periode dauerte 1 728 000 Jahre, die zweite 1 296 000 Jahre, ihre dritte 864 000 Jahre, während die vierte Periode, unser gegenwärtiges Zeitalter, 432 000 Jahre dauern wird – insgesamt 4 320 000 Jahre (siehe Okkultes Wörterbuch von G. de Purucker, S. 189-90). Diese Reihenfolge der Ziffern 4 3 2 erweist sich als eine Schlüsselzahl in bestimmten wiederkehrenden Runden, ‘oben und unten’. Die Präzession der Tagundnachtgleichen bedeutet sozusagen einen Vorlauf von ungefähr 50 Sekunden auf dem Bogen von 360 Grad, den die Sonne in ihrem jährlichen Lauf durch die Konstellationen durchschreitet. Dieser jährliche Bruchteil von einem Zweiundsiebzigstel Grad akkumuliert bis zu einem vollständigen Bogen von 360 Grad. Nach diesem Zeitraum ist die Sonne an den Ursprungspunkt des Zyklus von 25 920 Jahren zurückgekehrt und steht wieder unter der ursprünglichen Konstellation der Sterne – das ist das ‘Platonische Jahr’.

Diesen Zyklus der Himmelskörper findet man im Kleinen in unserem eigenen Körper. Das heißt, wir atmen ein und aus und das ungefähr achtzehn mal pro Minute. In vierundzwanzig Stunden atmen wir 25 920 mal. Unser kleiner Tag weist in der Atmung dasselbe zyklische Verhältnis auf wie die Präzessionsbewegung der Sonne. Unser Herz schägt durchschnittlich zweiundsiebzig mal pro Minute. Die Sonne braucht zweiundsiebzig Jahre, um sich auf der Bahn des Tierkreises ein Grad weiterzubewegen. Unser Herz schlägt pro Stunde 4 320 mal, womit die Ziffernfolge der alten Schlüsselzahl wiederholt wird. Die mathematische Analogie kann noch weiter ausgebaut werden, indem man die Universalität der Periodizität aufzeigt. Der wichtige Punkt ist die Vermischung von aktiven physischen und super-physischen Kräften. Über das sympathische Nervensystem werden unsere organischen Rhythmen von intelligenten Naturgesetzen auf das superbewusste Herz des Universums abgestimmt.

Die verschiedenen Körperzellen haben nicht nur ihren funktionellen Rhythmus, sondern sie kommen und gehen zeitlich aufeinander abgestimmt, indem sie sich zu neuen Zellen teilen. Diese einfache Teilung zu neuen Wesenheiten erkennen wir heute in den niedrigsten Formen tierischen und pflanzlichen Lebens. Das entspricht der Art, in der sich die etherische, kugelförmige erste Wurzelrasse vermehrte. Unsere Körperzellen werden sozusagen als Miniaturkopien der Urmethode der Rasse wiedergeboren. Manche Zellen teilen sich schnell, wie bei jungen Geschöpfen; andere verändern sich langsam, wie bei älteren Menschen und im Knochensystem, aber es existiert eine fortwährende Bewegung von Ebbe und Flut. Der ganze Körper wird in einem Zyklus von sieben Jahren erneuert. So hat sich ein siebzigjähriger Mensch sozusagen in einem Leben zehnmal wiederverkörpert. Er verlässt dann diese Erde, nur um später für einen weiteren Zyklus dorthin zurückzukehren.

Leben und Tod sind also nichts anderes als die Systole und Diastole des kosmischen Herzschlags, der für uns das spirituelle Selbst kommen und gehen lässt – hier und anderswo. Die okkulte Physiologie erklärt:

In der Natur existiert ein Gesetz, gültig auf allen Gebieten, ob moralisch oder physisch, welches heute als Wellenbewegung mit einer darauf folgenden Pause bezeichnet werden kann. Ein anderes Mal tritt es als Schwingung auf, dann wiederum bringt es sich als Wechsel von Anziehung und Abstoßung zum Ausdruck. Aber alle diese Veränderungen sind nur scheinbar, weil sie im Grunde genommen gleich sind. … In unserer eigenen Blutzirkulation erkennen wir, wie das Blut vom Herzen angetrieben wird und dass die Natur kleine Ventile eingerichtet hat, die nicht zulassen, dass es zum Herzen auf dem Weg zurückkehrt, wie es gekommen ist. … Der Okkultist … erklärt, dass der Impuls vom Herzen stammt und dass dieses Organ seinen Impuls aus dem großen Astralherzen des Ākāśa erhält, von dem alle Mystiker gesagt haben, es vollführe eine Doppelbewegung oder wechselweise Bewegung – die Systole und Diastole der Natur.

In diesem Sinne stellt das Ventil in der Zirkulation den Abgrund hinter uns dar, über den wir nicht wieder zurückkehren können. Wir befinden uns in der großen, allgemeinen Zirkulation und sind dazu gezwungen, ob wir es wollen oder nicht, ihrem Vorwärtsdrang zu folgen.

– W.Q. JUDGE, The Path, II, 292-3

Wir sind sowohl im Bewusstsein als auch mathematisch mit der Sonne, dem Mond und den Planeten verbunden. Die Positionen auf ihren Bahnen und ihre Wechselbeziehungen im Moment unserer Geburt beeinflussen den Verlauf einer Inkarnation. Aus dieser Familie von Himmelskörpern strömen die verschiedenen spirituellen, mentalen, psychischen, astralen und physischen Lebenskräfte, die durch die gesamte Natur und den Menschen zirkulieren, in Ebbe- und Flutbewegungen. Die Periodizität des Mondes hat einen deutlichen dualen Einfluss, der sowohl aufbauend als auch zerstörend ist. Seine wiederkehrenden Phasen stehen in einem Verhältnis zur Periodizität der gesamten Physiologie der Fortpflanzung, zu Veränderungen bei Krankheiten, zum Wachstum der Pflanzen und so weiter. Die psychischen und astralen Emanationen des Mondes spiegeln sich in mentalen und emotionalen Störungen wider. Alle diese Kräfte wurden von den Menschen des Altertums so gut verstanden, dass sie von der guten Wirkung dieser Einflüsse profitierten, während sie die schlechten Folgen mindern konnten. Wir tragen als menschliche Einheiten in der Sonnenfamilie unseren Teil zu den ungeordneten Elementen bei. Aber wir gewinnen an Kraft zum Guten und gleichen, im Verhältnis zu unserem individuellen Gleichgewicht zwischen Gut und Böse, unsere Schulden aus.

Die Qualität der Schwingungen unseres bewussten Lebens wird dem Gewebe unseres Körpers eingeprägt, wie eine Art mentaler und emotionaler Fossilien. Selbst der körperliche Unterschied zwischen einem edlen, rechtschaffenen Menschen und einem selbstsüchtigen, bestialischen Typ ist deutlich. Die Körper der bösen Atlantier waren grob und sinnlich. Auch die Erde hatte damals ihre niederste materielle Ebene erreicht. Von der Mitte der vierten Runde an begann das planetarische Rad, wieder dem aufsteigenden Bogen zu folgen, und die Materie begann sich zu verfeinern. Das findet im Prozess der Radioaktivität seinen Ausdruck, den die Wissenschaft in Gesteinen und Mineralien studiert.

… der Prozess der Radioaktivität wird in künftigen Zeitaltern in allen chemischen Elementen und Verbindungen auftreten – und zwar beginnend mit den schwersten und gröbsten Elementen die Skala hinauf bis zu den leichtesten und einfachsten. …

– G. DE PURUCKER, The Esoteric Tradition, 326

So kommt es, dass in dem Prozess des immer etherischer Werdens, den unser Globus jetzt durchläuft, die schwersten und gröbsten chemischen Elemente und Verbindungen zuerst radioaktiv werden, das heißt sie werden ihre Substanz mit zunehmender Geschwindigkeit verstrahlen, gefolgt von den weniger schweren und groben. Der Prozess wird insbesondere bis zum Ende der gegenwärtigen vierten Runde weitergehen … und dauert an, bis die siebente Runde ihren Höhepunkt oder ihr Ende erreicht hat. Bis dahin wird der Globus und alles auf ihm zu dem äußerst etherischen Stadium oder Zustand der Materie zurückgekehrt sein, der während der ersten Runde herrschte.

– Ebenda, 327 (Fußnote)

Das Bild des Menschen, der Schritt für Schritt mit der Materie seines Körpers und dem Körper der Erde evolviert, zeigt einen wissenschaftlichen Aspekt von „universaler Bruderschaft als einer Tatsache der Natur“. Das ist kein lediglich abstrakter Begriff oder Gemeinplatz. Es ist eine natürliche Tatsache, vereinbar mit der Essenz von Wissenschaft, Philosophie und Ethik – den drei Aspekten der einen Wahrheit. Die gegenwärtig den Körper der Erde bildenden Atome waren auch dabei, als wir unseren Kreislauf um die Mondkette vollzogen. Die Lebensatome des Mondes verkörperten sich hier aufs Neue mit unserer Rasse, und sie brachten die durch unseren früheren Einfluss hervorgerufenen Prägungen, nützliche wie auch schädliche, mit sich. In ähnlicher Weise kommen unsere individuellen Lebensatome aus früheren Inkarnationen jedes Mal wieder zurück, weil sie durch psycho-magnetische Kräfte zu uns hingezogen werden. Auf diese Weise sorgt die Natur dafür, dass die Ernte von nicht abgearbeiteten, in der Vergangenheit gesäten Ursachen eingebracht werden kann. Samen einer karmischen Krankheit werden zum Beispiel einen fertigen Nährboden in den körperlichen Zuständen des einen Menschen finden, während sie im Gewebe eines anderen Menschen nicht wachsen können, weil er karmisch frei ist. Wir finden musikalische, erfinderische oder andere Genies – oder ‘sogenannte Wunderkinder’ – mit jenem physischen Organismus, mit dem sie das Vermögen zum Ausdruck bringen können, das sie sich in vorhergehenden Lebens-Zyklen erworben haben. Auch da wiederholt sich das ‘Heimkommen’ der astralen Atome unseres Modellkörpers und der etherischen, mentalen und emotionalen Substanzen, die zu uns gehören. Dieselbe strenge Gerechtigkeit, die im All herrscht, wirkt auf allen Gebieten unseres Wesens.

Die chemischen Elemente, die sich in den Organen unseres Körpers vereint haben, die musikalischen Töne, die unser Gefühl für Harmonie befriedigen und die Farben, die unser Auge bezaubern, haben alle ihre mathematische Schwingungszahl.

Die Wissenschaft hat bewiesen, dass sich die verschiedenen Schwingungsraten als unterschiedliche Phänomene offenbaren. Mit der zunehmenden Popularität des Radios wurde sogar jedem der Begriff ‘Wellenlänge’ bewusst gemacht. Die Geheimlehre sah den außerordentlichen wissenschaftlichen Fortschritt auf vielen Gebieten voraus, welcher die enge Verbindung – wenn nicht die offensichtliche Einheit – von Energie und Materie aufzeigt. Dies bietet eine wissenschaftliche Grundlage für die Behauptung der Einheit von bewussten menschlichen Kräften und Materie, die heute ihrer Natur nach als elektromagnetisch bezeichnet werden. Ein Beispiel: Unsere heutigen fünf Sinne sind empfindlich für Schwingungsfrequenzen, die sich auch in greifbaren Formen von Ton, Farbe und so weiter manifestieren.

Die fünf Sinne und ihre Organe wurden in der Menschheit nicht gleichzeitig entwickelt, sondern erschienen nacheinander. Kurz gesagt, jede Wurzelrasse hatte gegen Ende ihres großen Zyklus einen der sieben Sinne entwickelt und zu voller Wirksamkeit gebracht. Die erste Wurzelrasse entwickelte das Gehör, die zweite fügte den Tastsinn hinzu, die dritte das Sehvermögen und die vierte den Geschmack. Unsere heutige fünfte Rasse besitzt neben den bereits erwähnten den Geruchssinn und trägt das Potential in sich, in der künftigen sechsten und siebten Wurzelrasse zwei weitere Sinne zu entwickeln.

Dass das Gehör der erste erworbene und der älteste Sinn ist, stimmt mit unserer Fähigkeit überein, Töne über elf Oktaven wahrnehmen zu können, während unsere Augen nur das Licht einer Oktave sehen können. In The Esoteric Tradition (S. 466, 467) wird darauf hingewiesen, dass sich die Radiowellen, die, soweit damals bekannt, elf oder zwölf Oktaven umfassen, als Töne manifestieren und mit unserem Gehör übereinstimmen. Wenn wir in der Skala von Oktaven zu den kürzeren Wellenlängen gehen, erreichen wir Schwingungen, die in unserer Wahrnehmung Wärme bewirken, das heißt, sie sprechen den Tastsinn an. Durch Oktaven noch kürzerer Wellenlängen fortfahrend, erreichen wir das Gebiet der sichtbaren Strahlung, hier entspricht das siebenfältige Spektrum des Lichts unserem Sehvermögen. Wenn wir noch weitergehen, durch noch kürzere Wellenlängen hindurch, betreten wir das Gebiet der ultravioletten Strahlen, das unserem Geschmack verwandt ist. Dann kommen die äußerst kurzen Wellenlängen der Röntgenstrahlen, die unserem Geruchssinn verwandt sind.

Unsere latenten sechsten und siebten Sinne werden sich nacheinander entwickeln, so wie sie durch die Entfaltung unserer höheren mentalen und spirituellen Natur hervorgerufen werden. Dann werden wir die aufbauenden und inspirierenden Kräfte von Verstand und Herz genauso natürlich ausstrahlen, wie wir jetzt unsere anderen Sinne gebrauchen. In dieser weit entfernten Zeit wird sich unser Körper zu einer feineren, geschmeidigeren und beständigeren Substanz verändert haben; der Mensch wird das Gleichgewicht zwischen den positiven und negativen schöpferischen Kräften gefunden haben, da die sexuelle Fortpflanzung nur eine vorübergehende Phase darstellt. Krankheiten werden dann unbekannt sein, da die erleuchtete Menschheit gelernt haben wird, in Übereinstimmung mit den feineren Naturkräften zu arbeiten.

Unter diesen idealen Umständen der Zukunft wird sich der Mensch auf dem aufsteigenden Bogen selbstbewusst durch Reiche des Seins entwickeln, durch die er als nicht-selbstbewusster Gottesfunken auf dem absteigenden Bogen langsam in die Materie herabgesunken war. Das kabbalistische Sprichwort vom Menschen, „der ein Stein, eine Pflanze, ein Tier, ein Mensch, ein Geist und schließlich Gott wird“, ist bezüglich der Formen richtig. In den ersten drei etherischen Runden durchlief der Mensch die vage ‘Vorlage’ dessen, was später zu den Steinen, Pflanzen und Tieren der physischen vierten Runde werden sollte. In seinem animalischen Körper benutzt er noch immer mineralische und pflanzliche Elemente. Der menschliche Embryo entwickelt sich heute durch eine Reihe von Formen, die in Zusammenhang mit Erfahrungen während der früheren Rassen stehen.

Aufgrund der während enormer Zeitalter in allen Arten und Formen von Materie durchlebten Erfahrung entwickelt sich der embryonale Körper heutzutage in neun Monaten. In den ersten Monaten ist das Geschlecht noch undeutlich und weist zunächst auf Asexualität hin, danach auf den androgynen Zustand der ersten Wurzelrassen. Ein weiteres Zeichen der Anfangsrunden ist die frühe Entwicklung und wichtige Stelle der Zirbeldrüse, die später vom embryonalen Gehirn überdeckt wird. Diese kleine Drüse – welcher die Physiologie keine Funktion zuerkennt – vertritt das einst aktive ‘dritte Auge’. Gegenwärtig ist sie ‘tief verborgen in der Gehirnhöhle’, wo sie in enger Verbindung mit allen intellektuellen, sinnlichen und psychischen Zentren steht. H. P. Blavatsky sagt, dass

… sie einst aktiv gewesen ist, denn die Natur erschafft niemals die kleinste, die unbedeutendste Form ohne irgendeinen bestimmten Zweck und zu irgendeinem Gebrauch. Sie war ein aktives Organ, sagen wir, in jenem Stadium der Evolution, als das spirituelle Element im Menschen die Oberherrschaft über die gerade entstehenden intellektuellen und psychischen Elemente hatte. Und als der Zyklus abwärts auf jenen Punkt zu lief, an dem die physiologischen Sinne durch das Wachstum und die Verfestigung des physischen Menschen entwickelt wurden und mit ihnen Schritt hielten – die unermesslichen und verwickelten Veränderungen und Drangsale der zoologischen Entwicklung –, da verkümmerte dieses mittlere „Auge“ zum Schluss zugleich mit den frühen spirituellen und rein psychischen Merkmalen des Menschen. …

Am Anfang war jede Klasse und Familie der lebenden Arten hermaphroditisch und objektiv einäugig.

The Secret Doctrine, II: 298, 299

Auch wird gesagt, dass dieses ‘Auge’ im ‘Laufe des zyklischen Kreislaufs’ des großen Gesetzes wieder funktionieren wird, wenn wir auf dem aufsteigenden Bogen erneut die spirituellen Reiche erreicht haben werden. Dann werden wir als vollkommene Menschen das irdische Leben verlassen, um zu ruhen, bevor wir als junge Götter die nächsten, höheren Runden der Existenz beginnen werden. Zwischen dem gesamten Fortgang der planetarischen Entfaltung des menschlichen Egos und dem evolutionären Lauf, welchen das Ego in einer Inkarnation durchlebt, existiert eine Analogie. Das Ego beginnt jedes Leben als kleines Kind, sammelt Erfahrungen und im Alter kreuzt sein hinausführender Weg aufs Neue einige Ebenen seines Hereinkommens. Das Neugeborene bringt den erfrischenden Geist einer anderen Welt mit sich und ist hier anfangs kaum wach; allmählich betritt das Kind eine neue Welt – glücklich, ohne Verantwortungsgefühl und voller Vertrauen. Während der sogenannten ‘zweiten Kindheit’ beginnen sich die Gezeiten der Lebenskräfte des Egos zu wenden. Mit dem Abebben der bewussten und vitalen Strömungen werden der alternde Körper und das Gehirn allmählich weniger wach, weniger aktiv. Man wird vergesslich und lebt in den Erinnerungen der Jugendjahre, ist sorglos und abhängig. Die hier abebbende Lebenskraft beginnt irgendwo anders einen neuen Zyklus. Und das Ego, das jetzt ‘heimkehrt’, kreuzt aufs Neue die inneren Ebenen, entlang derer es hierher kam. Altersschwäche bedeutet oft einen gleichzeitigen Zyklus der Wiedergeburt auf der anderen Seite des Schleiers.

Platzmangel hindert uns an einer Betrachtung der Brückenechse (Hatteria oder Sphenodon), einer alten Eidechsenart mit einem dritten Auge, die in Neuseeland gefunden wurde. Auch die Beuteltiere, die in der Fauna Australiens dominieren, stellen ein Übergangsstadium zwischen den eierlegenden und den lebend gebärenden Tieren dar. Wie können diese Tierarten anders erklärt werden als mit dem Überlappen von alten Zyklen? Offensichtlich sind sie demselben Gesetz der Verzögerung unterworfen wie die australischen Eingeborenen, die auf dem Überrest des alten Lemurien leben.

Die moderne biologische Forschung verfolgt die physiologischen Veränderungen der Zelle sozusagen von außen nach innen, bis an das Grenzgebiet der nicht materiellen Kräfte. Die okkulte Physiologie weist auf die kosmische Intelligenz der Natur als die ursächliche Kraft hin, die der Zelle vorschreibt, nur ihre eigene Form und Funktion hervorzubringen. Der unsichtbare, sich wiederverkörpernde Lebenskeim einer Pflanze und sogar eines Tieres, welcher in seiner eigenen Art von Erfahrungen uralt ist, liegt außerhalb des Bereiches eines Mikroskops. Die Experimente, die gemacht werden, indem man die natürliche Rangordnung der Chromosomen oder anderer Elemente der befruchteten Zelle verändert, beziehen sich nur auf das natürliche Vehikel oder den ‘Körper’, durch den sich die Intelligenz manifestiert. Die Resultate, wie bemerkenswert sie auch sein mögen, sind unzuverlässig, weil sie künstlich sind, und anstatt die gesuchten Antworten auf die Fragen des Lebens zu geben, werden sie verwirrend wirken.

Devachan, die Himmelswelt

Die „rosige Schönheit“ der Himmelswelt: Das sind die Worte eines Lehres, der uns einen ersten flüchtigen Eindruck davon vermittelt, was uns die Theosophie über Devachan erzählt. Unter ‘Devachan’ versteht man jenen Seinszustand, in den sich das reinkarnierende Ego – allgemein als ‘Seele’ bezeichnet – allmählich nach Vollendung des Auflösungsprozesses beim zweiten Tod zurückzieht.

Das folgende Zitat beschreibt Devachan etwas näher:

Dieser Ausdruck ist ein zusammengesetztes sanskrit-tibetisches Wort: … Man kann es übersetzen mit Götterland, Götterreich. Es ist jener Zustand zwischen zwei Erdenleben, in den die menschliche Wesenheit, die menschliche Monade, eingeht und dort in Seligkeit und Ruhe bleibt. …

Devachan bedeutet Erfüllung aller unerfüllten spirituellen Hoffnungen der vorigen Verkörperung. Darin kommt all das spirituelle und intellektuelle Sehnen zur Blüte, das in jener vergangenen Verkörperung keine Gelegenheit zur Erfüllung hatte. Es ist eine Periode unaussprechlicher Seligkeit und unsagbaren Friedens für die menschliche Seele, bis die Zeit der Ruhe und der Wiederherstellung der eigenen Kräfte beendet ist.

– G. DE PURUCKER, Okkultes Wörterbuch

Wer hat nicht bei einem Rückblick auf sein Leben feststellen müssen, dass die meisten, vielleicht auch alle seine schönsten Träume unerfüllt geblieben sind? Auf unsere Jugendideale, die so rasch ‘im Licht des Alltags’ verblassten, folgten unsere Träume von wahrer Freundschaft, die wir niemals fanden, von musikalischen, literarischen, wissenschaftlichen oder humanitären Leistungen, die wir erstrebten, jedoch nie erreichten. Vielleicht ergab sich nicht einmal eine Gelegenheit, es zu versuchen. Und dann gibt es die Dinge, die wir so gerne für unsere Lieben getan hätten, aber wir waren zu ungeschickt oder zu beschäftigt, um sie auszuführen.

Diese Wünsche sind unser edelster Teil. Mehr als das – sie sind Energien, die – weil sie nicht zum Ausdruck kommen – umso stärker und mächtiger werden, solange sie in der Stille gehegt werden. Da sie Kräfte sind, müssen sie irgendwo Früchte tragen; und jene Früchte werden natürlich dort wachsen, wo sie ihren Ursprung hatten. Es sind diese Kräfte, die für uns die Bedingungen der Götterwelt erschaffen, der Himmelswelt – Devachan. Wir haben gesehen, dass die durch seine eigene unbewusste Aktivität erschaffenen niederen, mentalen Wünsche des Menschen dazu beitragen, die Bedingungen für seinen Bewusstseinszustand während seines Aufenthaltes in Kāma-Loka zu bestimmen, das unsere Erde mit einer mental-emotionalen Atmosphäre umgibt. Ebenso bauen seine höheren Gedanken, Sehnsüchte und Bestrebungen nach spirituellem Selbstausdruck sein Devachan auf. Devachan ist jener Bewusstseinszustand, in dem er von diesen höheren Kräften umgeben ist, die ihm spirituelle Früchte an Freude, Schönheit und Frieden bringen.

Nun könnten wir verleitet sein anzunehmen, Devachan wäre dem christlichen Himmel ähnlich. Aber in Wirklichkeit bestehen hier grundlegende Unterschiede. Vor allem kann die kreative Evolution des Menschen nur durch Wiedergeburt auf Erden stattfinden. Die Periode von Devachan bringt keine neuen Muster in der Entwicklung hervor; sie trägt nur die Früchte der spirituellen Aspekte der Erfahrungen, die im vergangenen Leben ihren Ursprung haben. Deshalb ist Devachan nur ein vergänglicher Zustand. Mehr noch, Devachan ist lediglich eine Erweiterung – eine subjektive Fortsetzung – des Karmas aus dem vergangenen Leben des Egos. Der Charakter von Devachan, die Schönheit, das Glück und die Dauer der Episoden werden lediglich durch die Entfaltung jener spirituellen Gedanken und Bestrebungen definiert, die das Ego während seines irdischen Lebens empfunden hat.

Die Ähnlichkeit zwischen Schlaf und Tod wurde bereits angesprochen. Der Schlaf – und wir betonen es abermals – ist ein unvollständiger Tod; der Tod ist ein vollständiger und perfekter Schlaf. Deshalb muss dem Tod, genau wie dem Schlaf, ein Erwachen zu einer neuen Periode der Aktivität in einem Erdenleben folgen. Und darin liegt selbstverständlich der größte Unterschied zwischen Devachan und dem christlichen Himmel.

Aber es gibt noch eine andere bemerkenswerte Ähnlichkeit zwischen dem Tod und dem Schlaf. Im Schlaf träumen wir und in unseren Träumen begegnen wir Menschen, die wir kennen; die Träume sind von vielerlei Erfahrungen erfüllt, die – solange sie andauern – genauso lebendig und fesselnd sind, wie die im Wachzustand. In Träumen können und führen wir Dinge aus, zu denen wir im täglichen Leben niemals imstande wären. Wir können vielleicht malen oder auf einem Instrument spielen, das wir lieben. Es gibt Menschen, die in ihrem Traum auf einem Musikinstrument spielen können, von dem sie im Wachzustand noch nicht einmal eine Ahnung haben. Manchmal begegnen wir interessanten neuen Freunden oder reisen in unbekannte Länder. Diese Träume, die schön oder unangenehm sein können, sind das Resultat unserer täglichen Gedanken und Wünsche, die sich auf diese Weise auswirken, wenn die Kontrolle des Verstandes nachlässt.

Der Tod, der nur ein längerer und vollständigerer Schlaf ist, ist ebenfalls eine Zeit des Träumens. Während jedoch unsere Träume in der Nacht oft beängstigend sind, sind sie nach dem Tod voller Trost und Schönheit. Denn wir haben die niederen Teile, in denen Alpträume aufkeimen und Leiden entsteht, abgelegt. Diese niederen Elemente wurden beim zweiten Tod zerstreut. Nichts ist in uns zurückgeblieben, wodurch wir leiden könnten, denn wir verweilen nun im Licht und der Reinheit der harmonischen Reiche des Geistes. Und über uns ist das göttliche Schild des spirituellen Selbst. Aber:

Während des Schlafs und nach dem Tod geht jeder Mensch zu den Plätzen, auf die er durch sein Denken und seine Bestrebungen, oder auch ohne diese, Anspruch hat. Anders ausgedrückt, es ist alles eine Frage der synchronen Vibration – der Mensch geht in sein natürliches Heim, sei es hoch oder niedrig.

– G. DE PURUCKER, Quelle des Okkultismus, III:171

Die in Devachan verbrachte Zeit dauert durchschnittlich fünfzehnhundert Jahre. Die individuelle Regel lautet: hundert Jahre in Devachan für ein Lebensjahr auf Erden. Ein Mensch, der mit 50 stirbt, wird also 5 000 Jahre in Devachan verbringen, wenn er mit 80 stirbt, 8 000 Jahre und so weiter. Der niedrige Durchschnitt von 1 500 Jahren ergibt sich aus dem sehr großen Anteil von Menschen, die – aufgrund ihrer materialistischen Natur – in sich kein Fundament für die spirituellen Freuden von Devachan bilden und deshalb nicht in der Lage sind, über längere Zeit nicht erneut auf der Erde zu inkarnieren.

An dieser Stelle sollten wir uns daran erinnern, dass es einen deutlichen Unterschied zwischen einem bösen und einem lediglich materialistischen Menschen gibt. Nur die wirklich bösen Menschen, die durch Selbstsucht oder Triebhaftigkeit willentlich anderen Leid zugefügt haben, leiden in Kāma-Loka. Es gibt viele wohlmeinende und ehrliche Menschen, die nur für ihre eigenen Interessen und Vergnügungen leben. Sie leiden nicht in Kāma-Loka, da sie kein bewusstes Leid zugefügt haben. Sie können jedoch auch nicht die segensreichen Zustände von Selbstausdruck und Selbsterkenntnis der Himmelswelt erfahren. Wie könnten sie auch, da sie kein Fundament in ihrem Inneren gelegt haben? Weiter ist es beruhigend zu wissen, dass selbst das Leid jener, welche die mentalen Qualen von Kāma-Loka erleben, ein Ende hat, wenn die von ihnen angehäuften Energien zur Neige gehen; dann fallen sie in jenen Zustand von Unbewusstheit, der zu einer Wiedergeburt auf der Erde führt. Und während der Reinkarnation – wenn sie in ihrer eigenen Umgebung dem Leid begegnen, das sie anderen zugefügt haben – werden sie verstehen lernen, was Selbstsucht bedeutet, und so die Chance haben, aus dem Bösen zu Sympathie und Mitleid zu wachsen.

Auf einen bereits früher angesprochenen Aspekt zurückkommend wollen wir uns auch daran erinnern, dass das Leben nach dem Tod nicht ein Zustand der Existenz ist, der wie durch einen Abgrund von uns, so wie wir jetzt sind, getrennt ist. Die Zustände nach dem Tode sind: erstens die Auflösung unserer physisch-astralen und danach unserer niederen mentalen und emotionalen Bewusstseinszentren; zweitens – wenn das abgeschlossen ist – wird das Leben auf einer höheren als der uns jetzt bekannten Ebene fortgesetzt – in der unbegrenzten Aktivität unserer spirituellen Natur, in Zuständen, in denen sich diese Natur zum ersten Mal wirklich entfalten und erfüllen kann.

Die Furcht vor dem Tode beruht auf falscher Erziehung, die uns keine Vision über ein Leben nach dem Tod bietet, das in logischer oder normaler Beziehung zu dem steht, was wir hier auf der Erde kennen oder erfahren. Aber es gibt einen Faden der Kontinuität, der alle Erfahrung des Menschen in allen Welten durchzieht und die unsichtbaren Welten mit der Welt verbindet, in der wir heute leben.

… Wenn ein Mensch stirbt, dann ist es genauso, als würde er in einen sehr tiefen Schlaf fallen, in äußerste süße Unbewusstheit, es sei denn, dass das vitale Band abgerissen ist; dann ist die Seele, wie der Ton einer sanften goldenen Note, augenblicklich frei.

Was während des Schlafes geschieht, ist eine schwache Andeutung dessen, was mit einem Menschen beim Tod vor sich geht. Das persönliche Ego gerät in Vergessenheit und sein Bewusstsein wird in den spirituellen Teil zurückgezogen, wo es ruht und vorübergehend seinen Frieden findet. …

– G. DE PURUCKER, Quelle des Okkultismus, III:171

Die Evolution des Menschen

Die Bedeutung des Wortes ‘Mensch’

Zunächst einmal sollten wir definieren, was wir unter dem Wort ‘Mensch’ verstehen. Wenn auch die wissenschaftlichen Evolutionisten mit ihren Theorien bezüglich der Evolution des menschlichen Körpers Recht haben sollten, würden sie dennoch über den Ursprung der menschlichen Intelligenz und der menschlichen Seele – mit einem Wort: den Ursprung des Menschen selbst – vollkommen im Dunkeln tappen. Das ist der Gedanke, der bei den Anti-Evolutionisten so lebendig ist – wie unzureichend auch immer sie ihre Bedenken in Worte fassen können. Sie sind sich bewusst, dass sie sich durch die Annahme des wissenschaftlichen Standpunkts der animalistisch-materialistischen Betrachtungsweise der menschlichen Natur ausliefern würden. Die Wissenschaftler ihrerseits können dann wieder entgegenhalten, dass dieser Aspekt der Angelegenheit sie nichts angeht und dass sie lediglich die materiellen Fakten studieren. Es ist aber eine Tatsache, dass ein so materialistischer und mechanistischer Standpunkt das Denken beeinflusst und einen pessimistischen Blick auf die menschliche Natur unterstützt. Viele sehen in der Wissenschaft eine Art Religion – eine Religion, welche die Gottheit leugnet oder zumindest negiert; eine Religion, die den Menschen, was seine Abstammung betrifft, ins Tierreich verweist. Selbst das tierische Bewusstsein oder die Intelligenz, die eine Pflanze ihrer Art und Funktion entsprechend wachsen lässt, kann nicht als mechanistisches oder chemisches Produkt interpretiert werden. Noch viel weniger kann das in Bezug auf den Geist des Menschen der Fall sein. Wir wollen nach innen schauen und versuchen, die Tiefen unseres eigenen wunderbaren Bewusstseins zu ergründen. Wenn es aus der Materie hervorkommt, müsste die Materie Gott sein. Gleiches bringt Gleiches hervor; und Flüsse können nicht höher fließen als ihre Quelle. Unser Bewusstsein ist ein Teil eines Bewusstseins-Meeres, unser Denken ein kleines Lichtbündel; und unser physischer Organismus kann nicht mehr sein als die Leinwand, auf die das Licht projiziert wird.

Die Theosophie beschäftigt sich mit der Wirklichkeit. Und was ist wirklicher als unsere eigene bewusste Existenz? Wir können uns als Ausgangspunkt nichts Wesentlicheres vorstellen, als unser eigenes Bewusstsein. Die Evolution des Geistes verläuft in der der Materie entgegengesetzten Richtung. Beim Zusammentreffen dieser beiden wird das Denkvermögen gebildet. Genaugenommen ist der Mensch das Resultat zweier zusammenfließender evolutionärer Entwicklungen: der des Geistes und der der Materie. Das gesamte manifestierte Universum ist durch die Vereinigung von Geist und Materie gebildet, durch kosmisches Leben und Bewusstsein, die sich Vehikel aufbauen, um sich selbst zum Ausdruck zu bringen. Wie gesagt, es wäre besser von der Involution des Geistes in die Materie und der daraus entspringenden Evolution der Materie zu sprechen. Die Wissenschaft studiert die Evolution der Materie, nicht die Involution des Geistes. Außerdem versucht man beides als ein und denselben Prozess zu betrachten. Das Denkvermögen stellt man sich als ein Produkt der Evolution vom Tier- zum Menschenreich hin dar. Es ist der Geist, der die Entfaltung der Organismen verursacht; die Form verändert sich und passt sich den zunehmenden Fähigkeiten der innewohnenden Monade an. Wir können eine Analogie aus der Wissenschaft entlehnen: nämlich die Wirkung von Wärme, die verschiedene Veränderungen verursacht. Zum Beispiel wird Wasser zu Wasserdampf und weiter resultieren aus der Zufuhr von Wärme zahlreiche chemische Veränderungen. Wir erkennen hier, dass Wärme das unsichtbare Mittel ist, das sichtbare Veränderungen verursacht. Aber viele Biologen argumentieren, als wären die Veränderungen von selbst geschehen und Wärme ein Nebenprodukt dieses Prozesses. Da man von einem Wissenschaftler erwartet, dass er alle seine inneren Sinne verschließt und die Natur mit nüchternem Blick betrachtet, entgeht ihm möglicherweise der Bewusstseinsfunke im Auge des Tieres, den er als etwas, das mit ihm selbst verwandt ist, erkennen könnte.

Das Selbstbewusstsein

Der Mensch ist nicht das Endprodukt einer Reihe von Pflanzen- und Tierformen, denn es gibt eine ganz deutliche Kluft – die Kluft des Selbstbewusstseins, wie bereits vorher erwähnt. Der Mensch hat das Vermögen, sein eigenes Bewusstsein zu erforschen, und es liegt in seiner Macht, sich zu verändern, indem er seinen Willen und seine Vorstellungskraft einsetzt. Tiere besitzen diese Fähigkeiten nicht. Sie sind entweder da oder nicht, eine Zwischenform gibt es nicht. An dieser Stelle müssen wir jetzt eine unter Vorbehalt gemachte Aussage ergänzen, als wir nämlich sagten, der Mensch sei das Produkt einer dualen Evolution. Wir werden ihn jetzt als ein Produkt dreier verschiedener Evolutionslinien betrachten. Die dritte ist die Linie des selbstbewussten Denkens.

Gemäß den religiösen Kosmogonien, einschließlich der Bibel, wurde der Mensch ursprünglich aus dem Stoff der Erde geschaffen und zu einer lebenden Seele gemacht, das heißt einer animalischen Seele, in Übereinstimmung mit einer genauen Übersetzung aus dem Hebräischen. Später wurde diese Seele mit dem göttlichen Feuer begabt, so dass der Mensch nach Gottes Vorbild und Ebenbild geschaffen wurde. Das ist eine Universallehre, und es gibt nichts, worüber mehr Einstimmigkeit bestanden hätte, als über die duale Schöpfung des Menschen. Die Wissenschaft wird diese Wahrheit gewiss einmal bestätigen, auch wenn sie anstelle der biblischen eine eigene Terminologie benutzen wird.

Die Tatsachen lehren uns, dass Intelligenz in dem einen Menschen durch einen anderen Menschen geweckt wird. Ein Kind, das sich selbst überlassen bleibt, ist nicht imstande, seine Intelligenz zu entwickeln, sondern es würde zu einer Art instinktiv lebendem Wesen werden. Einige Beispiele dafür sind bekannt. Das Kind lernt von seinen Eltern und Erziehern durch Belehrung und Nachahmung, und später wird es in der Schule unterrichtet. Wichtige Veränderungen im Denken des Menschen wurden immer von großen Geistern in Gang gesetzt, von einzigartigen Denkern von Format, die Schüler anzogen, von denen sich die Woge auf das Denken der Massen übertrug. Das Licht wird immer weitergegeben werden. Tatsächlich ist in jedem Menschen Intelligenz latent vorhanden, aber sie bleibt latent, wenn sie nicht zum Leben erweckt wird. Die höchst entwickelten Tiere bleiben das, was sie sind, und sie zeigen nicht die Neigung, Intelligenz zu entwickeln. Welche Argumente könnten wir zur Unterstützung der Annahme vorbringen, dass das in der Vergangenheit anders gewesen sein sollte? Die Suche nach fossilen Überresten von Wesen, die in der Evolution zwischen dem Menschen und den Menschenaffen stehen, ist ohne Erfolg geblieben. Es ist wahrscheinlich, dass die Knochen von degenerierten menschlichen Wesen als Zwischenglied betrachtet werden können. Die Ähnlichkeit in der Struktur des Menschenaffen und des Menschen wirkt nach beiden Seiten und kann deshalb genausogut als Beweis für die Tatsache dienen, dass der Affe vom Menschen abstammt; es gibt Biologen, die der Meinung sind, dass das tatsächlich durch die Fakten bestätigt wird.

Der Mensch ist also das Produkt von drei Hauptlinien der Evolution. Die dritte Linie ist die der manasischen Evolution – das heißt die Evolution von Manas, dem selbstbewussten Denken. Es ist dieses selbstbewusste Denken, das den Menschen so deutlich von den höheren Tierarten unterscheidet und das kann nicht – wie bereits gesagt – die Folge von direkter Evolution des nicht selbstbewussten Tieres sein. Es ist eine Errungenschaft des Menschen in einem bestimmten Stadium seiner Evolution. Es gab eine Zeit, in der er das selbstbewusste Denken nicht besaß, und es kam eine Zeit, in der er es erwarb. Das erklärt den Unterschied zwischen den ehemaligen ‘gemütlosen’ Menschenrassen und den späteren ‘erwachten’ Rassen.

Dieses Ereignis wird in der Theosophie das Erscheinen der Mānasaputras genannt, was ‘Söhne des Denkens’ bedeutet. Sie waren göttliche Wesen, die selbst einst Menschen waren. Da sie jedoch der vorigen Runde des Evolutionszyklus angehören, haben sie das menschliche Stadium, wie wir es jetzt kennen, bereits durchlaufen. Von diesen Wesen empfing der Mensch seine spezielle Intelligenz. Man soll aber nicht denken, dass sie ihm das Denkvermögen schenkten, so wie man jemandem etwas gibt, was er noch nicht hat. Sie weckten in den gemütlosen Menschen sozusagen den latenten Samen des Selbstbewusstseins, der bereits in ihnen schlummerte. Wir müssen im Auge behalten, dass in jedem Wesen im Universum, wie niedrig es auch sein mag, die höchsten Möglichkeiten in latentem Zustand vorhanden sind, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft entfalten werden, wie weit entfernt der auch sein mag. Diese ‘Söhne des Denkens’ waren die Lehrmeister des Menschen – die Inspiratoren oder Heilande. Dieses Ereignis wird in vielen heiligen Schriften und Mythologien in allegorischer Sprache beschrieben, einschließlich der Genesis in unserer Bibel. Der interessierte Leser kann in der theosophischen Literatur über das Thema der Mānasaputras umfassendere Information erhalten.

Hier müssen wir uns auf das beschränken, was notwendig ist, um das gegebene Thema zu erklären. Es ist dieser manasische Teil des Menschen, der das unentbehrliche Glied zwischen Geist und Materie bildet. Wir müssen uns eine natürliche Evolution vorstellen, die unten anfängt und stets kompliziertere Formen hervorbringt, und eine spirituelle Evolution (oder besser gesagt Involution), die oben anfängt und eine abwärts strebende Richtung besitzt. Die spirituellen Wesen können nicht in tierischen Organismen inkarnieren, die von der niederen Evolution erzeugt werden, weil die Kluft zu groß ist. Es ist dieses dazwischen liegende Prinzip – Manas oder das selbstbewusste Denken, Intelligenz –, das die Kluft überbrückt und die Vereinigung des Spirituellen und Materiellen zustande bringt, wodurch der vollständige Mensch entsteht.

Jeder weiß aus eigener Erfahrung, dass mit dieser Methode tatsächlich Wissen von Mensch zu Mensch übertragen wird. Wir lernen alle durch den Kontakt mit anderen. Diese anderen geben uns nicht etwas, sondern sie wecken vielmehr unsere eigenen latenten Kräfte. Das ist Erziehung im wahrsten Sinne des Wortes, das heißt ‘Zum-Vorschein-Bringen’ – so wie Plato in seiner bekannten Geschichte zeigte, in der er einem ungebildeten Sklaven eine mathematische Wahrheit entlockte.

Auf die Frage, ob die heutigen Tiere jemals Menschen werden, muss die Antwort ja und nein lauten. Es ist nicht richtig zu behaupten, dass tierische Körper zu menschlichen Körpern evolvieren können oder dass Tiere auf dem Weg der allmählichen Transformation zu Menschen werden. Aber es ist wahr, dass die Monaden, die jetzt in tierischen Körpern wohnen, einmal ins Menschenreich übergehen und vom Feuer des Denkens erleuchtet sein werden. Das wird aber nicht im gegenwärtigen Evolutionszeitalter stattfinden; die Tür zum Menschenreich ist für diesen Zyklus geschlossen; und die jetzige Tierwelt wartet ihrerseits auf die zukünftige Evolutionsrunde.

Der Standpunkt der Wissenschaft

Der allgemeinen Auffassung gemäß entwickelte sich alles aus einem äußerst einfachen Beginn. Die Anzahl von Dingen, die wir als anwesend voraussetzen und als selbstverständlich annehmen müssen, ist ungeheuer groß. Aus dieser Auffassung folgt, dass das Atom mit seinen inhärenten Eigenschaften die Verantwortung für die Entstehung des Universums und die dazugehörenden Wesen trägt. Wir könnten es mit Fug und Recht das Allmächtige Atom nennen. Aber davon abgesehen ist die Bewegung, die beim Einfachen ihren Ursprung hat und zum Komplizierten führt, nur die eine Hälfte eines wahrnehmbaren Universalprozesses. Die zweite Hälfte ist die Bewegung, die vom Komplizierten zum Einfachen führt. Diese beiden Prozesse wirken gleichzeitig und kontinuierlich. Die Prozesse der kosmischen Evolution sind sehr zahlreich und mannigfaltig, und der ganze Plan ist unendlich umfangreich und kompliziert. Die Wissenschaft wurde unbewusst von der religiösen Ansicht hinsichtlich des beschränkten Zeitraums der Entwicklungsgeschichte des Menschen beeinflusst. Diese eingeengte Sichtweise der Geschichte des Menschen wird außerdem noch durch die Schlussfolgerung gefördert, dass der Mensch das Endprodukt einer durchgängigen Evolutionslinie ist.

Eine unvoreingenommene Untersuchung der Tatsachen hätte zu einer anderen Schlussfolgerung geführt. Bei genauer Betrachtung deutet nichts darauf hin, dass der Mensch sich in der jüngsten Vergangenheit aus der Barbarei entwickelte. Die Archäologie bringt laufend neues Material ans Licht, woraus hervorgeht, dass der Mensch – selbst der Mensch von hoher Zivilisation – aus der grauen Vorzeit stammt. Und auch in der Biologie musste man zugestehen, dass der Bau des menschlichen Körpers eine gewisse Primitivität zeigt, die nur schwer mit dem Standpunkt in Einklang zu bringen ist, dass er das jüngste Produkt der Evolution sei. Die Menschheit ist tatsächlich der ursprünglichste und daher der primitivste Stamm von allen. Der Mensch hat in seinem Körper eine einfache Rangordnung von Knochen und Muskeln.

Für denjenigen, der mehr darüber erfahren will, was die Wissenschaft über dieses Thema sagt, verweisen wir auf das Buch Man in Evolution von G. de Purucker. Darin ist eine ausführliche Aufzählung einer Anzahl anatomischer Besonderheiten enthalten, die dies bestätigen. Die Ausführungen beruhen hauptsächlich auf den Studien des Professors für Anatomie Dr. Wood Jones. Ein kurzer Überblick dazu findet sich im Anhang.

Der Mensch ist der ursprünglichste Stamm

Gemäß der theosophischen Evolutionslehre war der Mensch der ursprüngliche Stammvater der Säugetiere, und auch die anderen Tierarten sind aus diesem menschlichen Stamm hervorgegangen. Das erklärt den primitiven und einfachen Bau des menschlichen Körpers. Bei den verschiedenen Tierarten kommen Spezialisierungen bestimmter Organe und Funktionen vor, wie Flügel, Rüssel, Krallen, Hörner, Kiemen. Nach der Evolutionstheorie sind dies Attribute, die im Laufe der Entwicklung zum Menschlichen hin verschwanden. Die Alte Weisheit jedoch lehrt, dass die späteren Tierarten aus den Mikroorganismen des menschlichen Stamms hervorgingen. Diese Keimzellen entwickelten und spezialisierten sich entlang einer eigenen, bestimmten Evolutionslinie, so dass im Lauf der Zeitalter die menschliche und tierische Entwicklung stets weiter auseinanderliefen. Ein unvoreingenommenes Studium der Fakten zeigt, dass dies tatsächlich der Fall ist, denn man hat festgestellt, dass die einzelnen Arten die Neigung zeigen, sich gemäß ihrer eigenen Linie zu spezialisieren, anstatt allmählich in eine andere Spezies überzugehen.

Wenn wir sagen, dass die Mikroorganismen, die sich später zu Säugetieren entwickelten, vom menschlichen Stamm abgeworfen wurden, müssen wir hinzufügen und erklären, weshalb wir vom ‘menschlichen Stamm’ und nicht vom ‘Menschen’ reden. Die Geschehnisse, von denen hier die Rede ist, fanden in einer sehr fernen Vergangenheit statt, und seitdem hat sich die menschliche Rasse weiterentwickelt, so dass die Menschheit, von der die Säugetiere abstammen, sich von der heutigen Menschheit stark unterscheidet. Wir müssen auch bedenken, dass im Universum, in dem alles evolviert, auch die Materie selbst evolviert und dass ihr heutiger Zustand, den wir ‘physisch’ nennen, die jüngste Phase einer ununterbrochenen Kette von Phasen oder Zuständen ist, welche die Materie durchlief. Der Prozess, in dem die Mikroorganismen oder Samen, die sich später zu Säugetierstämmen entwickeln sollten, abgeworfen wurden, wird ‘Knospung’ genannt. Ein kleines Teilchen löste sich von dem Elternkörper – ungefähr so wie eine Spore die Pflanze verlässt oder eine Eichel die Eiche – und begann dann seine eigene Entwicklung. Der heutige menschliche Organismus ist nicht imstande, auf diese Weise Nachkommen hervorzubringen, obgleich diese Methode der Fortpflanzung noch immer bei einzelnen Arten von Lebewesen vorkommt.

Deshalb kann die Frage, ob die Tiere von den Menschen abstammen, sowohl mit ja als auch mit nein beantwortet werden. Sie stammten in der Weise vom Menschen ab, wie es hier beschrieben wurde, aber nicht im Sinne der Darwinisten. Die Tiere gingen nicht als Endprodukt einer einzelnen, durchgehenden und nach oben gerichteten Evolutionslinie aus dem Menschen hervor. Die Keimzellen der Tierarten entsprangen in einer fernen Vergangenheit dem menschlichen Stamm, der vom heutigen menschlichen Stamm jedoch sehr verschieden war. Das Evolutionsmodell der beseelten Reiche muss man sich deshalb als einen Baum vorstellen – mit einem Hauptstamm, mit dicken und dünnen Ästen, mit Zweigen und Blättern. Dieses Modell ist ganz anders als das lineare Evolutionsmodell. Die Wissenschaft nähert sich in dem Maß, in dem die Erkenntnisse sich häufen und die Untersuchungen weitergehen, zunehmend diesem Baum-Modell der Evolution.

Der Mensch stammt – vom Menschen ab

Der Vorfahre des Menschen war der Mensch selbst; möglicherweise vormenschlich, aber trotzdem menschlich. Was war der Mensch und woher kam er?

Das Dasein des Menschen nahm auf der göttlichen Ebene seinen Anfang und zwar als ein nicht-selbstbewusster, göttlicher Funke, dessen Bestimmung es ist, am Ende des Evolutionszyklus wieder mit der göttlichen Essenz vereint zu werden, aus der er hervorgeging. Er ist eine Monade, ein Keim des Universalen Lebens. Die Monaden, deren Bestimmung es war, Menschen zu werden, waren göttliche Wesen, die in den frühesten Tagen im Leben des Planeten auf die Erde kamen. Der erste physische Mensch existierte bereits vor 18 000 000 Jahren auf der Erde; und vor dieser Zeit war er schon in astraler oder ätherischer Form anwesend. Dass die Materie selbst evolviert und diese Erde nicht immer in dieser heutigen, materiellen Form lebte, wird von der Wissenschaft übersehen. Dies hatte weitreichende Folgen für das Gesamtbild der Paläontologie; und viele Schwierigkeiten entspringen der fälschlichen Annahme, dass die Zustände und Eigenschaften der Materie in der fernen Vergangenheit den heutigen entsprechen. In den letzten Jahren hat die Wissenschaft jedoch eine stürmische Entwicklung erlebt, unter anderem in Bezug auf ihre Ansichten über das materielle Universum. Astrophysiker zum Beispiel sind zu der Schlussfolgerung gelangt, dass sich in der Sonne und in den Sternen im Allgemeinen eine Evolution der Elemente vollzieht, die mit der Umwandlung von Wasserstoff in Helium ihren Anfang nimmt. In seinem Buch The Ascent of Man1 sagt Jacob Bronowski, dass die Materie selbst evolviert. Die Meinung des neunzehnten Jahrhunderts, das Universum sei nichts weiter als eine materielle Maschine, hat ausgedient; und wir können mit Recht die Schlussfolgerung ziehen, dass die neue Physik zur Metaphysik geworden ist.

In der gegenwärtigen Periode oder Runde der kosmischen Evolution gibt es sieben Wurzelrassen, und wir befinden uns gerade in der fünften. Die erste Wurzelrasse begann etwa vor 130 oder 150 Millionen Jahren. Jede dieser Rassen hatte ihre eigene Form und ihre eigene spezielle Art der Fortpflanzung. Die erste pflanzte sich durch Teilung fort. Die zweite durch Knospung und die dritte war androgyn und legte Eier. Bei manchen Tierarten kommen diese Fortpflanzungsarten noch immer vor. Die Phase der uns gegenwärtig bekannten geschlechtlichen Fortpflanzung ist nur von vorübergehender Dauer. Die ersten physischen Menschen und die ihnen vorausgehenden astral-ätherischen Menschen waren die Urahnen der Säugetiere. Zu jener Zeit war der Mensch ‘gemütlos’ – das heißt er handelte instinktiv, denn das Licht des Selbstbewusstseins war noch nicht in ihm entzündet. Damals konnte der Mensch die Evolution verschiedener Säugetierarten durch das Ausschwitzen von Zellen oder Samen aus seinem eigenen Körper verursachen. Später folgten diese ausgeschwitzten Zellen oder Samen ihrer eigenen speziellen Evolutionslinie und brachten in den folgenden Zeitperioden die verschiedenen Säugetiere hervor, die wir heute kennen.

Bis jetzt haben wir über die Säugetiere gesprochen, aber es gibt auch noch niedrigere Tierarten, wie die Reptilien, die Vögel, Fische und so weiter. Diese gingen nicht aus dem menschlichen Stamm in dieser Runde des großen Evolutionszyklus hervor, sondern in einer vorausgegangenen Lebensperiode auf dieser Erde. Hieraus ergibt sich, dass der Evolutionsplan komplizierter ist, als angenommen wird. Es ist nicht beabsichtigt, hier tiefer und detaillierter darauf einzugehen. Vielleicht wirkt unsere Darlegung dadurch etwas fragmentarisch, aber in weiterführender theosophischer Literatur wird dieses Thema vollständiger ausgearbeitet; dort können die Zusammenhänge klarer gesehen werden.

Der Mensch und die Affen

Einen Sonderfall müssen wir hier zur Sprache bringen; und dieser betrifft die beiden affenartigen Familien: die Antropoiden oder Menschenaffen und die gewöhnlichen Affen. Manche Wissenschaftler vermuten, dass diese vom Menschen abstammen und nicht auf dem Weg zum Menschen sind. So behauptet zum Beispiel der finnische Antropologe Björn Kurtén, dass von Primaten stammende Fossilien unverkennbar darauf hinweisen, dass der Mensch nicht vom Affen abstammt; es ist vielmehr richtiger zu sagen, dass die Affen und Menschenaffen von den frühen Ahnen der Menschen abstammen.2 Das ist die wahre Geschichte vom Ursprung der Menschenaffen und der übrigen Affen; und die Richtigkeit derselben kann durch ein Studium der anatomischen Kennzeichen von Mensch und Menschenaffe gezeigt werden. Die Meinung, dass sich der Mensch aus dem Menschenaffen oder beide aus einem gemeinsamen Stamm entwickelt haben sollten, wird dann als Widerspruch zu den Tatsachen erkannt werden. Für eine eingehendere Betrachtung dieser komplexen Lehren wird auf Die Geheimlehre von H. P. Blavatsky und die Werke Dr. de Puruckers hingewiesen.

Die spirituelle Triebkraft hinter der Evolution

Wir haben festgestellt, dass der Mensch in einer Hinsicht von den Tieren stammt. Das heißt, dass der menschliche Körper das Ergebnis einer sehr lange andauernden Evolution durch die niederen Reiche ist. Aber diese aufwärts gerichtete Evolution hätte ohne eine gleichzeitige Involution des Geistes in das Physische von oben her niemals stattfinden können. Das Universale Leben – Bewusstsein, Geist (eine genauere Bezeichnung ist schwer zu finden) – ist die wirkliche Ursache der Evolution. Dieses Universale Leben errichtet immer neue und geeignetere Formen auf der Erde. Aber Leben, Bewusstsein und Geist an sich sind lediglich Abstraktionen; sie sind Eigenschaften von Lebewesen, und diese Lebewesen sind die Monaden aller möglichen Klassen und Abstufungen.

Die Monaden sind Funken oder Atome des Universalen Lebens. Sie sind spirituelle Wesenheiten; und sie können als letztendlicher Same betrachtet werden – als fundamentale Keimzelle eines jeden lebenden Etwas, bis zum winzigsten Atom oder Teilchen. Jede dieser Keimzellen beginnt ihren individuellen Evolutionspfad. In ihnen sind die Möglichkeiten all dessen latent vorhanden, was sie später aus sich heraus entwickeln. Das Universum ist also die Bühne für eine sehr große Schar solcher lebender, evolvierender Wesenheiten. Sie existieren in verschiedenen Stadien der Evolution. Wenn das Spirituelle sich anfangs in die Materie einzuhüllen beginnt, schreitet die Evolution sehr langsam voran, so dass lange Zeitalter in den niederen Naturreichen verbracht werden – im Mineralreich, dem die drei Elementalreiche vorausgehen; und danach im Pflanzenreich und so weiter.

Der Individualisierungsprozess fängt bei den Pflanzen an, entwickelt sich weiter in den Tieren und wird im Menschen vollendet. Man muss hierbei bedenken, dass es nicht die organischen Formen sind, die ineinander übergehen, sondern dass es die ihnen innewohnenden Monaden sind, die eine Form nach der anderen als Wohnung benützen, dem Lauf ihrer Evolution entsprechend. Die Formen können also während langer Perioden gleich bleiben oder sich lediglich geringfügig verändern, während die Evolution die ganze Zeit über voranschreitet.

Es ist bemerkenswert, dass von Pflanzen oder Tieren manchmal plötzlich neue Spielarten auftreten, sogenannte Mutationen. Sie sind die sichtbare Wirkung eines bestimmten inneren Drangs der Monade, der nach einem solchen veränderten Körper verlangt, um sich dadurch zum Ausdruck zu bringen. Das hängt sehr eng mit der vorhergehenden Evolution zusammen, was die Paläontologie festgestellt hat, und das löst viele Fragen, auf welche dieser Wissenschaftszweig gestoßen ist. Obschon es im Allgemeinen richtig ist, dass die Arten niedriger werden, je weiter man in die Vergangenheit zurückgeht, verlief die Entwicklung doch in keinster Weise gleichförmig. So gab es eine explosionsartige Vermehrung der einen oder anderen Art, wie beispielsweise die der Reptilien im Mesozoikum, die eine gewaltige Entwicklung durchliefen und Riesenkörper hervorbrachten. Später nahmen immer kleiner werdende Eidechsenarten die Stelle der einst gigantischen Saurier ein. Während einer bestimmten Periode gab es eine enorme Entwicklung der Farne, die so hoch wuchsen, wie die Bäume; und ein anderes Mal waren es die Ammoniten und so weiter. Gleichzeitig mit diesen Entwicklungen der Pflanzen und Tiere traten Veränderungen in der Struktur der Erde auf, in der Verteilung von Land und Wasser, in der Zusammensetzung der Atmosphäre, in der Temperatur, im Luftdruck und in anderen geophysischen Bedingungen. Dies macht das Evolutionsschema wesentlich bunter als der Gedanke einer geradlinig verlaufenden Abstammung.

Die Theosophie stimmt mit dem Darwinismus bezüglich des Gesetzes einer äußerst langsamen, viele Millionen Jahre umfassenden Entwicklung überein. Aber es ist notwenig, einen Unterschied zwischen der Tatsache, dass es eine Evolution gibt, und deren Arbeitsweise zu machen. Diesbezüglich bestehen in der Theosophie andere Auffassungen. Dann gibt es noch die Frage nach der Ursache der Evolution, ein Streitpunkt mit unterschiedlichen Auffassungen.

Gemäß einer bestimmten Ansicht muss man die Ursache für die Evolution in den in der Materie vorhandenen, inneren Kräften suchen, ohne Vermittlung eines außerhalb der Materie stehenden Einflusses. In Wahrheit wird hiermit das schwierige Problem, wodurch die Evolution eigentlich verursacht wird, umgangen. Vermutlich wurden die Worte ‘innere Kräfte’ benutzt, um die Vermittlung eines göttlichen Schöpfers auszuschalten und auf diese Weise den Unterschied zwischen der Evolutionstheorie und der Idee der Schöpfung zu betonen. Eigentlich ersetzen wir damit eine Schwierigkeit durch eine andere, die genau so groß ist, wenn nicht sogar noch größer. Wir könnten uns erst einmal fragen, was der Unterschied zwischen ‘von innen her’und ‘von außen her’ ist, also zwischen dem was ‘in’ der Materie und was ‘außerhalb’ von ihr ist. Wenn die für die Evolution verantwortliche Ursache selbst auch materiell ist, haben wir das Problem nicht gelöst, sondern nur um einen kleinen Schritt verschoben. Wenn die gemeinte Energie ‘von innen her’ nicht materiell ist, was ist sie dann? Der Unterschied zwischen ‘von innen her’ und ‘von außen her’ würde verschwinden, wenn es sich um eine immaterielle Energie handelte, die von der Materie getrennt ist. Logisch argumentierend müssen wir sagen, dass die Materie von der einen oder anderen Kraft angeregt wird, die nicht materiell ist, oder wenigstens nicht dieselbe physische Art hat. Sonst wäre die Materie das primum mobile, das ursprüngliche Element, die selbstgeschaffene oder unerschaffene letztendliche Ursache aller Dinge – mit einem Wort Gott.

Bewusstsein ist der Materie übergeordnet, denn alles, was wir über die Materie wissen, ist das, was wir mit unserem eigenen Bewusstsein erkennen. Das heißt also, dass wir von der Existenz von Bewusstsein ausgehen müssen, bevor wir uns überhaupt mit dieser Sache auseinandersetzen können. Es wurde zwar behauptet, Bewusstsein würde aus der Materie hervorgehen, die selbst ohne Bewusstsein ist. Mit dieser haltlosen Behauptung entzog man sich der schwierigen und unlöslichen Frage nach dem Ursprung des menschlichen Geistes oder Selbstbewusstseins, das die Tiere nicht aufweisen. Von der alten Vorstellung der materiellen Evolution und der Theorie ausgehend, der Mensch sei das Endprodukt der Entwicklung bestimmter Tierarten, kam man zu dieser Beweisführung. Aus was auch immer sich das menschliche Bewusstsein entwickelt hat – es muss größer gewesen sein als dieses Bewusstsein, ob wir es Materie oder Atom nennen, oder eine Monade oder einen Gott. In diesem Sinne mag es richtig sein, dass die Evolution durch die der Materie innewohnenden Kräfte hervorgebracht wird; aber das wäre dann nur eine andere Art, die Tatsache zum Ausdruck zu bringen, dass selbst dem kleinsten Atom das Gesamte potentiell innewohnt, was sich später aus ihm heraus entwickeln kann. Das bedeutet, dass das Atom ein Funke des Universalen Geistes ist – und das ist eine rein theosophische Lehre.

Einen wichtigen physischen Aspekt der menschlichen Anatomie, der damit engstens verbunden ist und ihn in hohem Maße von den Tieren unterscheidet, weist der Schädel auf. Aus Fundstücken fossiler Hominiden ergibt sich, dass beim Menschen, im Vergleich zu allen anderen Säugetierformen, eine bemerkenswerte plötzliche Vergrößerung des Schädels stattgefunden haben muss. Für diese Vergrößerung kann man keine biologische Erklärung vorbringen. Dass das Gehirn mehr als doppelt so groß ist wie zum Beispiel beim Gorilla, stellt eine rein menschliche Spezialisierung dar. Der bekannte Anthropologe, Dr. Loren Eiseley, schreibt über diese Frage in seinem Buch The Immense Journey (Random House, New York, 1946, S. 91):

„Wir haben viele Gründe für die Überzeugung, dass – von welcher Art die Kräfte auch in Bezug auf das menschliche Gehirn sein mögen – ein langer, langsamer Wettlauf zwischen verschiedenen menschlichen Gruppen oder zwischen unterschiedlichen Rassen, eine unerwartet kleine Übereinstimmung in den mentalen Fähigkeiten der Völker, wo auch immer, zur Folge gehabt hätte. Da muss etwas sein – ein anderer Faktor – der unserer wissenschaftlichen Aufmerksamkeit entgangen ist.“

An einem bestimmten Punkt der Evolution wurde in der gesamten Menschheit gleichzeitig das Denkvermögen zur Tätigkeit erweckt und es entstand Selbstbewusstsein und die Fähigkeit der Selbstreflexion. Dieses Ereignis, das mit dem ‘Hinabsteigen der Mānasaputras’ bereits in diesem Buch angedeutet wurde, stellt mit Gewissheit diesen ‘anderen Faktor’ dar, über den Dr. Eiseley spricht.

Wir möchten noch jemanden aus wissenschaftlichen Kreisen zu Worte kommen lassen, wodurch die Überzeugung mehr und mehr an Boden gewinnt, dass der wahre Mensch nicht Körper, sondern Geist ist. In Wraparound, (Dezember 1975, S. 5) schreibt Dr. Oliver Sacks, Neuropsychologe am Albert Einstein College of Medicine (Bronx, New York) und Autor mehrerer Bücher über menschliches Bewusstsein:

„Der gesamte Organismus ist eine funktionelle Einheit: Der Sitz unseres Selbstbewusstseins ist nicht nur der Kortex; wir sind mit unserem gesamten Selbst bewusst. … Man kann davon ausgehen, dass der Ursprung des Bewusstseins allein in uns selbst liegt. Unser Bewusstsein ist wie eine Flamme oder eine Quelle, die aus unendlichen Tiefen aufsteigt. Wir überbringen und übertragen, aber wir sind nicht die erste Ursache. Wir sind Trichter oder Gefäße für das, was hinter uns liegt. Letztendlich spiegeln wir die Natur wider, die uns schuf. Die Natur erwirbt durch uns Selbstbewusstsein.“

Fußnoten

1. Herausgegeben von Little, Brown & Co. Boston, 1973, S. 344 [back]

2. Aus seinem Buch: Niet van de Apen, übersetzt aus dem Finnischen. Herausgeber Wereldvenster 1972, S. 138 [back]

Kāma-Manas – die Persönlichkeit

Unser alltägliches Selbst, mit dem wir leben und von dem wir glauben, dass wir es durch und durch kennen, nennt man die Persönlichkeit. Aber gerade von diesem Element der Persönlichkeit wissen wir so wenig. Und dies gilt nicht nur für den gewöhnlichen Menschen, sondern auch für viele Gelehrte. Denn einige der populärsten Erklärungen der psychologischen Natur des Menschen gründen auf den Untersuchungen der niederen physiologischen Seite der menschlichen Psyche oder Seele.

Das ganze Drama des menschlichen Lebens, das im Kampf der Kräfte des Guten und Bösen in uns zum Ausdruck kommt, rankt um die Persönlichkeit. Woher kommt das? Die Antwort zeigt sich in dem Diagramm auf Seite 25. Es rührt daher, dass die Persönlichkeit dual, zweifältig, ist. Sie ist eine Zusammensetzung, die sich aus der Tatsache ergibt, dass das Denkprinzip, das denkende Ego, sich mit Kāma vermischt, unseren Wünschen und Leidenschaften. Kāma ist oft egoistisch und leidenschaftlich beschaffen. Aber dennoch kommt im Leben fast eines jeden Menschen auch höheres Kāma zum Ausdruck, und zwar dann, wenn nicht nur die persönlichen Interessen für das Verhalten und Denken maßgebend sind, sondern der Wunsch nach Linderung der menschlichen Nöte anderer an erster Stelle steht.

Kāma-Manas oder die Persönlichkeit ist das Instrument, das Vehikel, mittels dessen die Monade mit ihren spirituellen, vorwärtstreibenden Einflüssen und Energien sozusagen eine Art von ‘Fernsteuerung’ zustandebringt. Jegliche Evolution wird von dem anspornenden Einfluss und den aus der Monade stammenden Energien, die sich durch unsere weniger spirituellen Prinzipien nach unten oder nach außen ausgießen, verursacht. Sollte die Monade sich zurückziehen, wie es beim Tod geschieht, dann zerfallen die niederen Prinzipien der Konstitution und der Mensch zieht sich von der irdischen Bühne zurück.

Die sich in unserer Persönlichkeit manifestierenden Wünsche und Leidenschaften –unser kāmisches Prinzip oder unsere tierische Natur – wurden auf unserer Reise oder Pilgerschaft durch die niederen Reiche der Natur gebildet und entwickelt. Wenn wir auf der Erde reinkarnieren, Leben auf Leben, bringt sich auch dieses kāmische Prinzip wieder zum Ausdruck. Auf der anderen Seite steht unser Denkvermögen, das sich durch Äonen hindurch entwickelte und schließlich von den Mānasaputras zur Tätigkeit erweckt wurde. Aus ihm entwickeln wir Fähigkeiten wie Intuition, Willenskraft, Vorstellungskraft, Vernunft, den schöpferischen Intellekt und dergleichen, während sich gleichzeitig auch die Instinkte und Begierden des tierischen oder kāmischen Selbstes weiter entfalten. Sie entwickeln sich gerade deshalb weiter, weil sie auf dynamische Weise mit Manas verbunden sind. So sind sie heute stark in uns, auf uns selbst gerichtet und erheben ihre eigenen Forderungen. Das ist die Wurzel des seit der Erweckung des Denkprinzips tobenden Krieges zwischen den spirituellen und den tierischen Kräften in unserer Natur, wie es in so treffender Weise in der Bhagavad-Gītā zum Ausdruck gebracht wird. Das niedere, kāma-manasische Selbst treibt immer zu Leidenschaft, Kampf und Egoismus an. Das höhere manasische Ego, inspiriert durch Ātman-Buddhi, strebt durch zahllose Inkarnationen hindurch allmählich eine spirituelle Herrschaft an.

Auf diese Weise werden die niederen und materiellen Prinzipien zur Selbstentfaltung inspiriert oder angespornt und allmählich von materiellen in spirituelle Energien transformiert und weiterentwickelt. Denn das Ziel des Lebens und das Bestreben der Evolution ist es, das Sterbliche zum Unsterblichen anzuheben.

So erkennen wir, dass in unserem gegenwärtigen Evolutionsstadium die Natur des Menschen sozusagen zwischen dem Nachgeben und dem Beherrschen des Selbstes schwankt, zwischen dem Tierischen und dem Göttlichen in der menschlichen Natur. Und dieser Zustand des Individuums spiegelt sich selbstverständlich in der großen Masse wider. Der gegenwärtige Zustand unserer Welt veranschaulicht diese Situation deutlich. Einerseits werden die Völker durch Ideale des Friedens, internationale Bruderschaft und Zusammenarbeit getrieben und andererseits spielen Habgier, Unwissenheit und die laute Stimme selbstsüchtiger nationaler Interessen eine große Rolle. Gerade diese Umstände wurden von den großen Lehrern vorhergesehen, den Mahātmas, die mit Hilfe von H. P. Blavatsky die Theosophische Gesellschaft gründeten. Zur gleichen Zeit schenkten sie uns aufs Neue das Wissen, das die Geist-Seele befähigen wird, durch die höhere Natur des Menschen zu wirken, um den letztendlichen Sieg über Selbstsucht und Hass zu erringen. Die unpersönliche Liebe bringt die Genesung von allem Übel, sowohl im persönlichen Leben als auch in jeder Gemeinschaft. Mit ‘unpersönlich’ ist die selbst-vergessende Liebe gemeint.

Aber sie ist noch mehr, denn sie bedeutet Liebe für alle Wesen, wie niedrig oder wie erhaben sie auch sein mögen, ob sie uns feindselig gesinnt sind oder ob sie unseren Herzen nahestehen. Indem wir Kāma-Manas überwinden und zum Schweigen bringen – die auf uns selbst gerichtete, anspruchsvolle Persönlichkeit – entwickeln wir Verständnis, Liebe und Wissen, was uns Glück und Frieden bringt. Durch eine liebevolle Haltung werden wir besser verstehen und verzeihen und Irritation, Kritik und Verbitterung werden von uns abfallen. Was auch immer geschehen mag, wir werden einen anderen niemals belästigen oder uns herzlos benehmen, sondern stets versuchen zu helfen. Schließlich werden wir beginnen, unsere Feinde zu verstehen und ihnen zu verzeihen – was das höchste Glück bedeutet. Indem wir unsere Sympathien allmählich ausbreiten, reicht unsere Liebe weiter und umfasst nicht nur unser eigenes Land, sondern alle Völker, und so werden wir schließlich zu einer Kraft des Guten in der Welt.

In der höheren Natur des Menschen liegen tatsächlich wunderbare Kräfte verborgen – schöpferische Kräfte, wovon wir auch heute schon einen schwachen Schimmer in der intuitiven Vorstellungskraft und einem beherrschten Willen wahrnehmen. Wir erkennen sie auch in den selbstlosen Impulsen im Inneren unseres Herzens – Impulse, die uns zu großartigen humanitären Aufgaben anspornen – sowie in all den Träumen, den Visionen und dem Drang zum Spirituellen, der jetzt schon beginnt, sich in der menschlichen Rasse zu entfalten. Aber diese Samen, die zu wunderbaren Fähigkeiten heranwachsen müssen, werden und können nicht keimen, solange unsere ganze Aufmerksamkeit und all unsere Wünsche ausschließlich sachlichen Interessen, egoistischem Vergnügen und dem Versuch gewidmet sind, alle anderen zu übertrumpfen oder jemanden auszustechen. Selbstverständlich erwartet keiner, dass wir die notwendigen materiellen Interessen vernachlässigen oder ihnen entsagen; aber durch unsere innere Einstellung, etwas ändern zu wollen, können wir jede Chance nutzen, um denjenigen Aspekt Kāmas zu fördern, den wir als göttliche Begierde bezeichnen.

Der Wunsch, unsere Familie oder unsere Freunde selbstlos zu unterstützen, das Allgemeinwohl zu fördern und jenen zu helfen, die sich in Schwierigkeiten befinden oder in Not geraten sind – dieser Wunsch entspringt der spirituellen Monade im Menschen, Ātman-Buddhi. Ihr Licht wird allmählich die dunkle Seite des kāmischen Prinzips erhellen; das göttliche Kāma wird aktiv werden und das niedere Manas wird sich dereinst mit ihm vereinigen. Die Dualität wird überwunden und die zwei werden zu einem perfekten Vehikel verschmelzen, einer leuchtenden Persönlichkeit, durch die die spirituelle Monade, unser innerer Gott, seine Energien in unser menschliches Herz ausschütten kann.

Die Frage der Vererbung

Man könnte sich fragen: Wenn man sein eigenes Karma ist, wie können wir dann die Vererbung erklären? Die Theosophie gibt auf diese Frage folgende Antwort, die mit den zu beobachtenden Tatsachen übereinstimmt. Wir werden in eine bestimmte Familie geboren, weil wir in der Vergangenheit mit ihr verbunden waren und durch früher geknüpfte psychomagnetische Bande dort hingehören. Diese Bande bestehen aus vitalen Energien und müssen sich in der Sphäre auswirken, in der sie entstanden sind. Es ist deutlich, daß wir neben Karma auch die Lehre der Reinkarnation studieren müssen, weil die eine Lehre ohne die andere sinnlos erscheint. Wir werden unter bestimmten Menschen und bei bestimmten Eltern geboren, durch die Bande, die wir in vergangenen Leben mit ihnen knüpften. Wenn wir jemanden hassen oder lieben, sind wir mit diesem Menschen so lange verbunden, wie der Haß oder die Liebe existieren. Wir kommen gemeinsam auf diese Erde zurück, Freunde, Angehörige und Feinde, um unsere Freude und unser Leid, unsere Arbeit und unser Spiel, unsere Erfahrungen und unsere Lektionen im menschlichen Leben erneut aufzunehmen.

Wir können sagen, daß die Familie es ermöglicht, daß die individuelle Vererbung sich offenbart und wir wiederholen, was nicht oft genug gesagt werden kann: Karma gehört zum Wesen des Individuums und wird ihm nicht von außen auferlegt. Wenn wir das bedenken, sehen wir, daß die Vererbung eines reinkanierenden Wesens durch das bestimmt wird, was es selbst ist. Warum sind die Angehörigen einer Familie oft so verschieden, obwohl alle unter den gleichen Bedingungen und aus dem gleichen Vererbungsstrom geboren wurden?

Die unterschiedlichen Kombinationen erblicher Eigenschaften bei den einzelnen Menschen werden von den psychomagnetischen Anziehungen gesteuert, die zu den Skandhas des reinkarnierenden Wesens gehören. Das Sanskritwort Skandhas wird in der theosophischen Literatur verwendet, weil es in keiner anderen Sprache ein Wort gibt, welches die Qualitäten bezeichnet, die das essentielle Gefüge einer Wesenheit darstellt, ihre persönliche Natur. Sie beziehen sich auf die Eigenschaften, Neigungen, Merkmale, hohe und auch niedrige, wodurch sich die Menschen voneinander unterscheiden. Sie sind die Samen von Gedanken, Taten und Gefühlen, entweder von materieller Art, die dann helfen den nächsten Körper zu formen, oder sie sind von mentaler oder moralischer Art.

Die Art und Wirkung der Skandhas kann am besten verstanden werden, wenn wir zuerst die Lebensatome näher betrachten. Diese können als die Seele der Atome beschrieben werden, mit deren Hilfe das inkarnierende Wesen sich einen Körper erschaffen kann. Es sind die Bausteine, die alles gestalten. Sie existieren auf jeder Ebene der Natur, spirituell, mental, emotional, physisch und in jedem Stadium der Entwicklung oder Evolution innerhalb dieser Ebenen. Im menschlichen Leben formen sie den Körper mit seinen Zellen und Organen, sie gestalten seine mentale oder emotionale Zwischennatur und auch seine spirituelle Konstitution.

Die Lebensatome, die jetzt unseren physischen Körper und auch unsere psychologische und spirituelle Natur formen, werden in jedem Moment von all unseren Gedanken und Taten beeinflußt. Wenn wir liebevoll, rein und selbstlos sind, beeinflussen wir sie in dieser Weise; ebenso können wir sie aber auch mit Selbstsucht, Leidenschaft oder Haß, oder mit Schwingungen von Angst und Pessimismus durchdringen. Weil unser Körper und unsere innere Natur sich ständig durch Wachstum, Entwicklung und Verfall ändern, bleiben diese Lebensatome nicht bei uns, sondern strömen von uns aus, um sich zeitweilig mit Wesen und Substanzen zu verbinden, die mit den von uns empfangenen Eindrücken verwandt sind. Dies geschieht während des ganzen Lebens, aber noch vollständiger nach dem Tod. Denn dann findet eine Trennung der Prinzipien statt, die gemeinsam den Menschen bilden. Der spirituelle Teil geht in höheren Bereiche über, nachdem er alles, was zum persönlichen Menschen gehört, in gereinigter, essentieller Form in sich eingezogen hat; die leidenschaftliche, emotionale Natur bleibt für eine bestimmte Zeit auf ihrer eigenen Ebene, bervor sie sich auflöst und der physische Körper verfällt schnell, wie wir alle wissen. Dann finden die Lebensatome auf den Ebenen der Natur ihren natürlichen Wohnsitz, beladen mit den Eigenschaften und Neigungen, die sie im letzten Erdenleben empfingen. Aber sobald die Wiederverkörperung wieder eingeleitet wird, strömen sie unter dem Einfluß der natürlichen Anziehungskraft wieder zu dem Wesen zurück, das sie einst aussandte.

Diese Lebensatome sind die Träger der Skandhas, das Aroma unserer früheren Leben. Sie sind die Bausteine vieler Grade der Evolution, die auf diese Weise durch ihre eigenen Merkmale die Persönlichkeit formen, die im Begriff ist, geboren zu werden. G. de Purucker sagt in der Quelle des Okkultismus, Bd. 2, S. 205-208 folgendes über die Vererbung:

Jeder Mensch hat mehr als nur eine rein physische Vererbung. Er hat eine astrale, eine psychische, eine intellektuelle, eine spirituelle und in der Tat auch eine göttliche Vererbung. Da er das Kind seiner selbst und gegenwärtig der Vater all dessen ist, was er in der Zukunft sein wird, ist seine Vererbung lediglich das Ergebnis der Kette von Ursachen, die dem entstammt, was er zuvor auf irgendeiner Ebene war. Deshalb wird das, was er dachte oder empfand, ebenfalls notwendigerweise seine Konsequenzen haben und seinen Charakter entsprechend formen.

Vererbung ist nicht nur die Rückkehr der pranischen Atome aus früheren Leben, die die Merkmale des Egos jener Leben tragen, sondern sie ist auch das Charakteristikum eines von den Eltern auf das Kind durch die Lebensatome übertragenen Lebensstroms.

Ein großer Teil der Vererbung, des Stromes von Konsequenzen, wird von Generation zu Generation durch die Lebensatome übertragen. Der andere Teil der Vererbung ist der, den die Eltern in die Gleichung einbringen; aber kein Lebensatom geht jemals in eine ungeeignete Umgebung. Es geht nur in die Umgebung, zu der es psychomagnetisch hingezogen wird: Gleiches zu Gleichem, Leben nach Leben.

Eine ähnliche Folge von Ereignissen oder karmischen Wirkungen gibt es in jeder Rasse, ob tierisch, pflanzlich, menschlich oder anders. Diese Aufeinanderfolge von Ereignissen bildet die Glieder in der Kette von Ursachen, die wir Vererbung nennen. Wegen dieser Kette von Ursachen und den fast unbegrenzten Neigungen und Fähigkeiten, die latent in den Lebensatomen liegen, aus denen alle Dinge aufgebaut sind, können die Züchter von Tieren oder Pflanzen die interessanten Varianten züchten. So wurden zum Beispiel unsere Früchte und unser Getreide in den atlantischen und frühen arischen Zeiten aus Wildpflanzen entwickelt. Einige dieser Variationen bilden tatsächlich neue Arten, sie überdauern; sie bringen ihre eigene Art hervor. Dies kann man tun, weil es in jedem Lebensatom im Grunde genommen unendlich viele Möglichkeiten des Richtungswechsels gibt. Die Züchter liefern lediglich eine neue Umwelt, die es erlaubt, daß sich die bis dahin latenten Anlagen zum Ausdruck bringen können. Diese Energie- oder Lebensquelle innerhalb jedes Lebensatoms bringt die große Mannigfaltigkeit von Wesen um uns hervor.

Die Menschen liefern jedoch weit mehr als nur ein Heim oder die Lebensumstände für ihre Kinder. Das Leben ist keine Angelegenheit des Glücks oder des Zufalls – das sind nur Worte, die die menschliche Unkenntnis verdecken. Alles was ist, ist das Resultat einer Kette von Ursachen. Warum kommen gewisse Kinder zu gewissen Eltern? Jedes Kind wird zu der Umgebung und zu den Lebensströmen jener Eltern hingezogen, die dem Schwingungsgrad der hereinkommenden Seele am meisten entsprechen. Wir können dies eine Art von psychomagnetischer Anziehung an eine Umgebung nennen, die die größte Übereinstimmung mit den karmischen Bedürfnissen des Egos besitzt oder anders ausgedrückt, mit seinen eigenen charakteristischen Merkmalen. Die Konsequenz davon ist, daß die Eltern weit mehr als nur die Kanäle sind, durch die ein reinkarnierendes Ego diese Sphäre betritt, und weit mehr als nur menschliche Automaten, die ‘gute’ oder ‘schlechte’ Lebensumstände liefern.

Dies ist nur eine grobe Übersicht der Veränderungen, welche die scheinbare Kluft zwischen zwei Inkarnationen des menschlichen Egos auf der Erde überbrücken. Sie unterstützen die Erklärungen der theosophischen Lehren über die Vererbung. Sowohl Übereinstimmungen als auch Unterschiede werden solcherart auf eine Weise erklärt, die nicht nur logisch, sondern auch gerecht ist.

Einige Einwände und Missverständnisse

Einer der verbreitetsten Irrtümer ist der Gedanke, daß der Mensch im Körper eines Tieres wiedergeboren werden könnte. Einige östliche Religionen lehren, daß eine solche Inkarnation in einem Tierkörper die Bestrafung für gewisse Sünden sei. Diese Behauptung ist die Entstellung einer ursprünglichen Lehre, die im Laufe der Jahrhunderte entstand; sie wird später erklärt werden.

Die Theosophie bestreitet diese Ansicht energisch. Sie sagt: „Einmal ein Mensch, immer ein Mensch.“ Dies ist eines der großen Axiome der archaischen Wissenschaft. Die Feststellung basiert auf der Tatsache, daß das Universum ein lebender Organismus ist, von dem wir ein Teil sind, und die Gesetze, die unser Leben regieren, haben daher in der Natur dieses Organismus ihren Ursprung. Wenn wir verstehen, was in der physischen Welt geschieht, können wir eine Vorstellung von den entsprechenden Vorgängen in anderen Sphären oder Ebenen innerhalb der Grenzen unseres eigenen Universums erhalten. Betrachten wir den Menschen von diesem Standpunkt aus, dann können wir erkennen, daß ebenso wie der Blutkreislauf und das Nervensystem das Wachstum ermöglichen, so auch die universalen Kreisläufe, die vitalen und spirituellen, die Evolution möglich machen. Im Menschen fließen die Lebenskräfte durch bestimmte Kanäle, die Venen, Arterien und Nerven. Im Universum bewegen sich die Lebenskräfte ebenso entlang bestimmter Kanäle und werden Kreisläufe des Kosmos genannt.

Manas, der Denker, … tritt nicht in niedere Formen zurück; erstens, weil er dies nicht will, und zweitens, weil er es nicht kann. Denn genauso wie die Herzklappen in unserem Körper verhindern, daß das Blut zurückströmt und das Herz überflutet, so ist auch im größeren universalen Zirkulationssystem das Tor hinter dem Denker verschlossen und sein Rückgang blockiert. Die Reinkarnation, die sich als Lehre auf den wirklichen Menschen bezieht, lehrt keine Transmigration in Naturreiche, die unter der menschlichen Ebene liegen.

– W. Q. JUDGE, Das Meer der Theosophie, S. 91/93

Diese Entstellung des Reinkarnationsgesetzes, das als ‘Transmigration der Seele’ bezeichnet wird, ist die Mißdeutung einer Tatsache, die im Altertum bekannt war und nun wieder vorgebracht wird, nämlich die Transmigration der Lebensatome. Sie wurde folgendermaßen von Dr. G. de Purucker erläutert:

Angewandt auf die Lebensatome … bedeutet dieser Ausdruck, daß die Lebensatome, die zusammen die niederen Prinzipien des Menschen bilden, während und nach der Veränderung, die wir Menschen den Tod nennen, in andere Körper wandern oder übergehen, von denen diese Lebensatome psycho-magnetisch angezogen werden, seien diese Anziehungskräfte nun hoch oder niedrig. . . .

The Esoteric Tradition, S. 598

Die Art und Qualität des Lebens, das jemand führt, prägt die Lebensatome, woraus die Zellen seines Körpers aufgebaut sind. Nach dem Tod werden diese durch die Anziehung in solche Organismen und Substanzen übergehen, die einen übereinstimmenden Charakter aufweisen und dadurch den geeigneten Kanal für solche Energien bereitstellen, die in den Lebensatomen aufgebaut werden.

Kommt die Zeit der Wiedergeburt und kehren die Lebensatome erneut durch die psycho-magnetische Anziehung zum reinkarnierenden Wesen, zu dem sie gehören, zurück, dann bringen sie durch ihre Transmigration die Einflüsse, die ihnen während des vergangenen Lebens eingeprägt wurden, verstärkt mit. Hieraus können wir ersehen, wie diese Lehre der Transmigration der Lebensatome ihrer wahren und ursprünglichen Bedeutung beraubt wurde.

Einige Menschen lehnen die Idee von der Reinkarnation ab, weil ihnen die Vorstellung unangenehm ist, wieder zu dieser Erde zurückzukommen. Sie sind der Ansicht, genug von den Leiden und Mühen des menschlichen Lebens gehabt zu haben und möchten nicht dorthin zurückkehren. Wie verständlich ein solches Denken über sich selbst auch erscheinen mag, ist es dennoch offensichtlich, daß die Gesetze der Natur sich nicht durch seinen oder ihren Wunsch zur Seite drängen lassen, sollten der Mensch in einem bestimmten Abschnitt seiner Existenz die Richtigkeit und Notwendigkeit der Gesetze nicht einsehen.

Man kann einwenden, daß die Wahrheit der Reinkarnation nicht bewiesen werden kann. Dies wird zum einen häufig von jenen behauptet, die meinen, daß der Tod das Ende von allem ist, und zum anderen von jenen, die glauben, daß das Leben in einem Himmel oder einer Hölle fortgesetzt wird. Man vergißt aber, daß diese beiden Theorien ebensowenig ‘bewiesen’ werden können. Einen ‘Beweis’ für Dinge wie diese kann nur in jedem Menschen persönlich gefunden werden. Es ist klar, daß viele Tatsachen für die Reinkarnation sprechen. Man muß nur an die vielen Zyklen in der Natur denken, wie den Wechsel der Jahreszeiten, Wachen und Schlafen, das Aufkommen und den Verfall von Kulturen usw. Dies sind keine ‘Beweise’ im gewöhnlichen Sinne des Wortes, aber trotzdem weisen diese Vorbilder auf die universalen Prozesse der Periodizität in der Natur hin. Es ist offensichtlich, daß wir durch das Reinkarnieren die Möglichkeit erhalten, die Folgen von Ursachen, die in vergangenen Leben gelegt wurden, zu überwinden und den Prozeß der Entwicklung fortzusetzen. Diese Folgen von Taten oder Gedanken aus der Vergangenheit sind weder Strafe noch Belohnung, sondern eine Gelegenheit zu weiterem Wachstum. Wir begegnen diesen Folgen hier auf der Erde, so daß wir an dem Platz ernten können, wo wir gesät haben.

Jede Tat, die wir ausführen, jede gute und jede schlechte Tat, jeder gute Gedanke, den wir denken, und jeder böse Gedanke, dem wir in unserem Denken Raum geben und der dadurch unsere Handlung beeinflußt: jeder muß seine unvermeidliche nachfolgende Wirkung haben. … Wo soll die Kraft oder Energie sich als Resultat zum Ausdruck bringen? Nur nach dem Tode oder in zukünftigen Leben? Die Antwort lautet: beides, aber hauptsächlich letzteres, in zukünftigen Leben auf der Erde, weil die irdische Kraft sich nicht wirksam in Sphären manifestieren kann, die nicht irdisch sind.

– G. DE PURUCKER, The Esoteric Tradition, S. 660

Wir sollten aber daran denken, daß diese Lehren nichts mit Fatalismus zu tun haben. Wir sind in der Tat in den Fesseln unserer gegenwärtigen Verhältnisse gefangen, womit wir durch unsere frühere Taten verwoben sind. Wir können uns daraus nur befreien, indem wir dem entgegengesetzt handeln. In dem Augenblick, in dem wir dies begreifen, können wir durch den Gebrauch unseres Willens diese Zustände beherrschen lernen und sie dazu benützen, genau entgegengesetzte Ergebnisse zu erzeugen als die, welche daraus hervorgegangen wären, wenn wir uns ihnen willenlos unterworfen hätten. Der Mensch, der sein Wissen und seinen freien Willen gebraucht, wird in zunehmendem Maße Meister seiner selbst und daher seines Schicksals.

Weiterhin fragt man sich häufig: „Wie sollen wir unsere Freunde und Verwandten erkennen, wenn wir in dem folgenden Leben in einem neuen Körper geboren werden?“ Ist Wiedererkennen wirklich notwendig? Wir sind mit unserer Familie und mit unseren Freunden durch Liebe, Sympathie und gemeinsame Erfahrungen verbunden. Wir müssen einander nicht suchen. Familien werden gemeinsam wiedergeboren, damit sie die Fäden wiederaufnehmen können, die sie nun vereinigen. Wir und unsere Freunde werden unvermeidlich voneinander angezogen und zusammengeführt, so ähnlich wie ein Magnet die Eisenspäne aus einem Berg von Sägespänen herausfinden kann. Wir können unseren Freunden und unseren Feinden nicht entrinnen.

Es gibt weiter einige Menschen, die sich gegen die Idee wenden, als Kind wiedergeboren zu werden und von neuem die rein physische Seite des Daseins erlernen zu müssen. Wiederholung ist eine Gewohnheit der Natur, die einen wesentlichen Teil der Evolution ausmacht. Jede Wiederholung kann jedoch, durch die Erfahrung der vorhergehenden, kürzer sein und weniger Anstrengung beinhalten. Über diese Frage schreibt Dr. G. de Purucker folgendes:

… die Zukunft wird Menschen hervorbringen, für die die Kinderjahre und das Säuglingsalter viel kürzer sein werden. Diese Verkürzung ist das Resultat der Evolution. In ferner Zukunft wird die Zeit kommen, in der die Kinder beinahe als fertige Menschen geboren werden – praktisch erwachsen, wenn es auch nicht bedeutet, daß sie in voller Erwachsenengröße zur Welt kommen.

Questions We All Ask, Serie I, S. 549f.

Das, worauf es uns hauptsächlich ankommt, ist die spirituelle Entwicklung. Wir fühlen die Last physischer Schwächen, weil wir uns in der Vergangenheit unter ihre Herrschaft begeben haben, indem wir überwiegend an materielle und persönliche Befriedigung gedacht und danach gestrebt haben. Dies schuf Hindernisse für das spirituelle Ego, dessen Aktivitäten in der Welt dadurch geschwächt wurden. Das hat auf unseren Körper zurückgewirkt und seine Evolution verlangsamt. Wenn wir in unserem Leben mehr Nachdruck auf das Spirituelle und Unpersönliche legen, werden alle Begrenzungen und Schwächen allmählich verschwinden. Dann wird das Ego frei sein, um seine Vehikel, die es benützt, in Harmonie mit seiner eigenen göttlichen Natur und ihren Zielen zu entwickeln.

Einwände gegen die Reinkarnation kommen gewöhnlich daher, daß man mit der Lehre und wie sie auf die unzähligen im Leben auftauchenden Probleme und wechselnden Situationen anzuwenden ist nicht vertraut ist. Auf Geheiß von anderen kann man natürlich niemanden dazu veranlassen, an Reinkarnation zu glauben. Aber wir können darüber nachdenken und den Gedanken der Reinkarnation als einen möglichen Schlüssel sehen, um unsere Lebensprobleme zu lösen. In diesem Prozeß, in dem uns unsere Intuition häufig zur Hilfe kommt, treten oftmals Argumente zum Vorschein, die (uns) auf die Dauer den ‘Beweis’ für die Wahrheit der Reinkarnation liefern, die für uns die Grundlage menschlicher Gerechtigkeit, des Glücks und des spirituellen Wachstums bilden kann.